24. Das ist wohl wahr: die Werke machen einen rechtschaffen, oder böse in den Augen der Menschen, d.h. sie zeigen äußerlich an, wer gerecht oder böse ist; so sagt Christus (Matth 7,20): "Aus ihren Früchten sollt ihr sie erkennen". Aber das ist alles nur, was nach außen in Erscheinung tritt. Der Blick darauf macht viele Leute irre, die schreiben und lehren, wie man gute Werke tun und rechtschaffen werden soll, und dabei denken sie doch nirgends an den Glauben. So gehen sie ihres Weges, und ein Blinder führt immer den andern; sie martern sich mit vielen Werken und kommen doch niemals zu der richtigen Beschaffenheit. ...
Wer nun nicht mit diesen Blinden in der Irre gehen will, muß auf mehr sehen als auf die Werke, die Gebote oder Lehre von den Werken. Er muß vor allen Dingen auf die Person sehen, wie diese rechtschaffen werde. Diese aber wird nicht durch Gebote und Werke, sondern durch Gottes Wort (d.h. durch seine Verheißung der Gnade) und durch den Glauben rechtschaffen und selig. Denn seine göttliche Ehre soll bestehen bleiben, daß er uns nicht durch unser Werk, sondern durch sein gnädiges Wort umsonst und aus lauter Barmherzigkeit selig macht.
25. Aus dem allem ist leicht zu verstehen, inwiefern gute Werke zu verwerfen und nicht zu verwerfen sind, und wie man alle Lehren verstehen soll, die gute Werke lehren. Wenn nämlich der falsche Anhang und die verkehrte Absicht darin ist, daß wir durch die Werke rechtschaffen und selig werden wollen, so sind sie schon nicht gut und ganz zu verdammen; denn sie sind nicht frei und lästern die Gnade Gottes, die allein durch den Glauben rechtschaffen und selig macht. Das können die Werke nicht, und doch nehmen sie sich vor, es fertigzubringen; und damit greifen sie der Gnade in ihr Werk und ihre Ehre. Darum verwerfen wir die guten Werke nicht um ihretwillen, sondern um dieses bösen Zusatzes und um der falschen, verkehrten Absicht willen. Die bewirkt es, daß sie nur gut scheinen, ohne doch gut zu sein; sie betrügen sich und jedermann damit, gleich den reißenden Wölfen in Schafskleidern.
Wo aber kein Glaube da ist, ist dieser böse Zusatz und verkehrte Sinn bei den Werken unüberwindbar. Er muß in einem solchen Werkheiligen so lange vorhanden sein, bis der Glaube kommt und ihn zerstört. Die Natur kann ihn von sich selber aus nicht austreiben, ja, sie kann ihn nicht einmal erkennen, sondern sie hält ihn für etwas Kostbares, Heilbringendes. Darum werden auch so viele dadurch verführt.
26. Soviel sei gesagt von den Werken im allgemeinen und von denjenigen, welche ein Christenmensch seinem eigenen Leibe gegenüber üben soll. Nun wollen wir von den weiteren Werken reden, die er andern Menschen gegenüber tut. Denn der Mensch lebt nicht bloß in seinem Leibe, sondern auch unter anderen Menschen auf Erden. Darum kann er ihnen gegenüber nicht ohne Werke sein; er muß jedenfalls mit ihnen zu reden und zu schaffen haben, obwohl ihm keines dieser Werke zur Rechtschaffenheit und Seligkeit nötig ist. Darum soll seine Absicht bei allen Werken frei und nur darauf gerichtet sein, anderen Leuten damit zu dienen und nützlich sein; er soll sich nichts anderes vor Augen stellen, als was die andern nötig haben. Das heißt dann ein wahrhaftiges Christenleben, und da geht der Glaube mit Lust und Liebe ans Werk.
27. .... Sieh, so fließt aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, daß ich dem Nächsten umsonst diene. Denn gleicherweise, wie unser Nächster Not leidet und unseres Überflusses bedarf, so haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnade bedurft. Darum, wie Gott uns durch Christus umsonst geholfen hat, so sollen wir mit dem Leib und seinen Werken nichts anderes tun als dem Nächsten helfen. So sehen wir, was für ein hohes, edles Leben ein christliches Leben ist; nur daß es leider gegenwärtig in aller Welt nicht nur darniederliegt, sondern auch nicht einmal mehr bekannt ist und gepredigt wird.
Aus: M. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Calwer Lutherausgabe 2 S.179ff