Übersicht
1. Die Stellung des Johannesevangeliums innerhalb der Evangelien
2. Fünf Einzelaspekte im Bericht von Johannes 18 und 19 als Verdeutlichung
   a) Die Ich-bin Rede Jesu und die Ich-bin-es-nicht Antwort des Petrus (18, 5.6.8.und 18, 17.25)
   b) Die Gewalt der Liebe und die Macht des Bösen (18, 22.23)
   c) Der menschliche Richter und der göttliche Richter (18, 28-19,11)
   d) Sehet welch ein Mensch! (19,5)
   e) Es ist vollbracht. (19,30)
Zusammenfassung

von Arnd Breuning im Zusammenhang der Überlegungen von G. Kolb zur musikalischen Interpretation durch J.S. Bach

1. Die Stellung des Johannesevangeliums innerhalb der vier Evangelien

 Alle vier Evangelien haben jeweils am Schluss ihrer Darstellung und Verkündigung vom Leben Jesu einen Bericht vom Leiden und Sterben Christi aufgeschrieben (Matthäus 26 und 27; Markus 14 und 15; Lukas 22 und 23; Johannes 18 und 19). Bei allen Vieren schließen sich nachfolgend Osterberichte an. Alle Evangelien haben mit Sicherheit vorgegebene Quellen benutzt, sie sind dadurch keine Augenzeugenberichte. Durch die gemeinsamen Quellen ergeben sich einerseits viele erstaunliche Übereinstimmungen bis in den Wortlaut hinein. Andererseits finden sich auch bezeichnende Unterschiede, ganz besonders, wenn man die Erzählungen der sogenannten Synoptiker (Markus, Matthäus, Lukas) und eben des Evangelisten Johannes liest. Johannes nimmt mit seinem Evangelium und auch mit seiner Passionsgeschichte eine Sonderstellung ein.
Gemeinsamkeiten in den Erzählungen. Übereinstimmend schreiben alle vier Evangelien vom Einzug Jesu in Jerusalem, vom Todesbeschluss des Synhedriums, von der Salbung in Bethanien, vom Verrat des Judas, von einem Abschiedsmahl, von der Ansage der Petrusverleugnung, vom Gebet Jesu in Gethsemane, von seiner Gefangennahme durch die hohenpriesterlichen Knechte bzw. einer gewissen Verteidigung Jesu durch seine Jünger, vom Verhör und der Überstellung an den Römer Pilatus, von der Verurteilung, Geißelung, Dornenkrönung, von Kreuzigung, Sterben und Tod Christi und schließlich der Auffindung des leeren Grabes und bezeugen die Auferstehung.
Unterschiede bei Johannes. Bei Johannes fällt auf, dass einige uns von den Synoptikern überlieferte Einzelheiten fehlen oder anders dargestellt sind. An Personen wie Simon von Kyrene, der das Kreuz Jesu vor die Stadt trug, wie die Schächer zur Rechten und zur Linken mit ihren Worten, wie der bekennende römische Hauptmann unterm Kreuz oder wie des Pilatus Frau ist Johannes aus irgend einem Grund nicht interessiert und erwähnt sie nicht. Dafür erhalten Maria und der Lieblingsjünger Johannes je ein eigenes Wort vom Kreuz herab (Siehe, das ist deine Mutter, das ist dein Sohn). inzelheiten wie die Finsternis um die Mittagszeit, das Zerreißen des Vorhangs im Tempel, das Krähen des Hahns, ja nicht einmal das Abendmahl mit den Einsetzungsworten werden im Johannesevangelium genannt, dafür aber zum Beispiel die Fußwaschung und dass die Kreuzesinschrift in lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache zu lesen war. Es fehlen die Anschuldigungen vom Tempelabbruch in drei Tagen und das Spottwort: Steige herab vom Kreuz, hilf dir selber und lass sehen, ob Elia komme und dir helfe. Das Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen bei Matthäus und Markus und das Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun bzw. Meinen Geist befehle ich deine Hände nach Lukas sind bei Johannes ersetzt durch andere Kreuzesworte, wovon das in der Sterbestunde gesprochene Es ist vollbracht das bekannteste ist.
Die andere Anlage des Evangeliums. Auffällig ist auch, dass die Passionsgeschichte bei Johannes von vorneherein ganz anders aufgeteilt ist. Sie beginnt schon mitten im Evangelium ab Kapitel 11,47 unmittelbar nach der Erzählung von der Auferstehung des Lazarus! Todesbeschluss, Salbung, Einzug, Bezeichnung des Verräters, Gebet in Gethsemane ,Ansage der Petrusverleugnung , Fußwaschung, – das alles findet sich bereits in der Mitte des Evangeliums in den Kapiteln 11,47 – 13, 38 und nicht wie sonst in den Evangelien am Ende. Man muss also bei Johannes mit dem Lesen der Passionsberichte eigentlich schon viel früher einsetzen, schon ab der Mitte seines Werkes. Das findet (leider?) z. B. auch in der Johannes-Passion von Bach keine entsprechende Berücksichtigung. Bach beginnt seine Musik erst bei Kapitel 18, die Darstellung von 11,47-13,38 setzt er stillschweigend als bekannt voraus! Zwischen Kapitel 13 und 18 sind bei Johannes in Kap. 14-16 Abschiedsreden eingefügt und in Kapitel 17 das berühmte hohepriesterliche Gebet Jesu für die Jünger, für die Gemeinde und für die Welt und dass sie alle eins seien (17,21). Erst nach diesem, für Johannes offenbar sehr wichtigen Zwischenabschnitt, erfolgt in Kapitel 18 die Fortsetzung mit der weiteren Passionsgeschichte.
Das Christusbild. Auch das Christusbild des Johannesevangeliums ist von vorneherein ein anderes als das der übrigen Evangelien. Jesus Christus ist bei Johannes nicht der, der etwa in Gleichnissen, Streitgesprächen oder in der zündenden und mahnenden Bergpredigt spricht und sich von Mose als neuer Lehrer der besseren Gerechtigkeit (Matth.5,20 und 21ff) unterscheidet bzw. darum den Ärger der jüdischen Gläubigen hervorruft (Mk 3,6). Jesus ist bei Johannes auch nicht der, der die Dämonen austreibt, Krankheiten bekämpft, unzählige Wunder vollbringt, der die Armen des Volkes selig preist und die Kinder segnet (Mk 10,13ff). Bei Johannes ist Christus vielmehr derjenige, der entsprechend der symbolträchtigen heiligen Siebenerzahl genau sieben überwältigende wundersame Gottestaten als Symbol-„Zeichen“(Joh.2,11) vollzieht. Diesen Wundertaten schließen sich jeweils tiefsinnige Meditationen an, etwa zum Brot, zum Wasser, zum Licht, zu Tod und Auferstehung . Es ist der erhöhte Christus, der sich in Machttaten zu erkennen gibt und der in seinen Ich-bin-Worten vollmächtig zu den Jüngern redet. Auch bei den Ich-bin-Worten ist die Siebenerzahl vorgegeben. Sechs Worte ( Ich bin das Brot des Lebens 6,35, das Licht der Welt 8,12, die Tür 10,9, der gute Hirte 10,11, die Auferstehung und das Leben 11,25, Weg und Wahrheit und Leben 14,6) werden bis Ende Kapitel 17 gesprochen sein. Das siebte Wort des Gottessohnes aber findet sich in der Passionsgeschichte des 18. Kapitels (Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme 18,37b). Die ganze weitere Passionsgeschichte ist die Erfüllung und Bezeugung dieses siebten Ich-bin-Wortes. Jesus Christus, so verkündet es das vierte Evangelium, ist der wahrhaftige König und Herr, der in der Erniedrigung seines Leidens und Sterbens ganz und gar Gottes Willen „erfüllt“. Der Auftrag Jesu wird deshalb im ganzen Evangelium bis hin zum Kreuz die „Verherrlichung“ Gottes (12, 23; 13,1; 17,1 usw) genannt, ist also keine Niederlage, sondern die Erfüllung von Gottes Gedanken. Am Kreuzesstamm wird Jesus buchstäblich „erhöht“(3,14; 8,28; 12,32.34,nicht erniedrigt. Die Macht, die Majestät, der Lichtglanz Gottes für das lichtlose Dunkel der Menschheit –so könnte man die „Verherrlichung“, die „doxa“(griech.), die „kabod“(hebräisch), die in Jesus erschienen ist, übersetzen. In Joh 1,14 nimmt Jesus Menschengestalt an, wird „Fleisch“ und stirbt am Kreuz, doch so und nicht anders zieht die Herrlichkeit Gottes in die Menschenwelt ein.

 2. Fünf Einzelaspekte im Bericht von Johannes 18 und 19 als Verdeutlichung

 Es ist nun reizvoll, auch in Einzelauslegungen dieses Christusbild des Johannesevangelisten zu entdecken. An fünf Beispielen soll gezeigt werden, wie neu und intensiv der Johannesbericht die Gestalt Christi beleuchtet und für die damaligen (und wohl auch heutigen) Lebensfragen entdeckt.

 a) Die Ich-bin Rede Jesu und die Ich-bin-es-nicht Antwort des Petrus (18, 5.6.8.und 18, 17.25).

Äußerlich gesehen sind die Fakten in Johannes 18, 1-27 ähnlich erzählt wie in den drei anderen Evangelien. Der Verräter Judas, die Schar der Knechte, Lampen und Fackeln, die peinliche Verleugnung des Petrus sind die wichtigsten Stichworte. Wir erkennen die durchgehende Passionserzählung aller Evangelien auch bei Johannes. Auf kleinere Ausnahmen bzw. Änderungen braucht hier jetzt nicht eingegangen zu werden (z. B. der Bach Kidron, das Ohr des Knechts mit dem besonderen Namen Malchus, das „Kohle“feuer der Knechte im Hof, der fehlende Judaskuß u.a.). Der entscheidende Unterschied findet sich aber in der Leitfrage Jesu dieses Abschnitts und in der Antwort, die er selbst gibt und die Petrus nicht geben kann. Diese Leitfrage lautet: Wen sucht ihr? Gemeint ist damit die grundsätzliche Frage aller Menschen, nicht nur der Jünger. Wen oder was sucht der Mensch in seinem Leben? Christus gibt darauf die Antwort. Sie ist, psychologisch gesprochen, die Antwort dessen, der bereits in der Ganzheit seiner Existenz vor Gott lebt und nicht mehr suchen muss. Er kann darum den Menschen die richtige Auskunft geben. Sie lautet: Ich bin´s!! (18,5.6.8) Dreimal also, unüberhörbar trinitarisch dogmatisch, erscheint dieses „Ich bin es“. Für den Johannes-Evangelisten ist in Christus  die Lebensfülle, die Lebensganzheit erschienen! Das übermittelt der Evangelist Johannes seinen Lesern unüberhörbar. Umgekehrt steht es dagegen bei dem Jünger Petrus. Zweimal muss er sich verneinen. Er sagt: „Ich bin es nicht“ (18, 17.25). Diese Antwort steht diametral der Christusantwort entgegen. Der Jünger Petrus, immerhin der erste in der Jüngerschar, steht für Menschen, die diese Ganzheit und Fülle nicht( oder noch nicht) an sich tragen. Ich bin´s nicht, müssen sie sagen. Sie fühlen sich in ihrem Leben nicht ganzheitlich. Sie finden nur schlecht das ganze Ich. Solche Menschen ,wie etwa hier Petrus, verleugnen sich, müssen schweigen, drehen sich ab. Auch Judas und den Kriegsknechten fehlt diese Ganzheit. Sie sinken vor dem göttlichen Ganzheitswort Jesu „Ich bin es“ wie tot zu Boden(18, 6)! Johannes enthält also eine theologisch bedeutsame Veränderung. Er ist sehr viel reflektierter, grundsätzlicher, bedachter geschrieben. Er kennt die innerste Not des Menschen, seine Verneinung: Ich-bin-es-nicht. Jesus ist derjenige, der mit der Fülle des Seins unter die Menschen getreten ist. An ihm scheiden sich Wahrheit und Unwahrheit, Fülle und Mangel, Offenheit und Verdecktheit, Sein und Nichtsein, Leben und Tod.. Johannes gibt inmitten der Passionserzählung eine tiefe theologische Antwort auf Sein oder Nichtsein des Menschen und der ewigen Suche nach dem Wahren. Christus mit seinen Ich-bin-Worten hat sich schon vor der Passion als Gottes Wahrheitsträger und Mittler des neuen Seins geoffenbart. Nun wird in der Passion in einer letzten Konkretheit und Offenheit dieses „Ich-bin“ nochmals geklärt und gedeutet und den Hörern des Evangeliums als Angebot des Heils vor Augen gestellt. Der in die Passion nach dem Willen Gottes gehorsam gehen muss, bringt Leben, Fülle und Ganzheit dem Menschen zurück.

 b) Die Gewalt der Liebe und die Macht des Bösen (18, 22.23).

Berühmt geworden in den Zeiten der Friedensbewegung ist das hier zu findende Wort Christi vom Umgang des Vollkommenen Gottes mit Gewalt und Macht des Bösen! Ein Kriegsknecht schlägt Jesus mitten ins Gesicht und versucht mit der Faust das Wort Jesu zu besiegen. Jesus schlägt nicht zurück. Er geht auch nicht mit angeblicher Großzügigkeit und intellektueller Überlegenheit über die Kleinlichkeit des Bösen hinweg. Jesus widersteht dem Bösen. Er stellt zwei Gegenfragen: Habe ich recht geredet, was schlägst du mich? habe ich übel geredet, kannst du es beweisen?. Jesus begegnet also dem Bösen keineswegs mit blindem Pazifismus, der alles an sich geschehen lässt. Er verweigert allerdings den Einsatz von Gegengewalt. Er hätte z.B. den Kriegsknecht zu Boden fallen lassen können, wie an anderer Stelle die Judasknechte in 18,.6. Jesus aber entgegnet mit der Herrlichkeit und Klugheit des Wortes und mit seiner nicht aufhörenden Liebe. Es werden also keine blanken Vergeltungsschläge und Waffen eingesetzt wie derzeit im Israel/Palästina- oder Afghanistankonflikt, um irgend ein Recht durchzusetzen. Die Liebe kämpft mit und um das Gegenüber, aber sie will nicht niedermachen. Sie wird kein Unrecht auf ein anderes setzen. Sie kämpft mit offenem Visier und sie resigniert nicht! Sie wehrt dem Bösen, aber mit friedlichen und ausgewogenen Mitteln und mit der klugen Macht des Mundes, weil sie von der Macht der Liebe überzeugt ist. Eine Johannespassion singen, ohne auf Frieden zu sinnen, ist wohl fehl am Platze! Johannes der Evangelist hat in den Versen 18, 22.23 seine Gemeinde zu einer Theologie des Friedens und der Liebe aufgerufen. Das Bild des geschundenen und geplagten Gottessohnes ist nicht denkbar ohne den positiven Verweis und das Vertrauen in die mächtigere göttliche Liebe, deren Garant und Überbringer der hoheitliche, vollkommene Christus selbst ist.

 c) Der menschliche Richter und der göttliche Richter (18, 28-19,11).

Zu aller Zeit müssen Menschen Angst haben vor den Machthabern. Nicht anders auch in der nachjesuanischen Zeit des Johannesevangeliums. Dieses wurde wohl zwischen 90 und 100 nach Christus aufgeschrieben. Die Quellen stammen freilich aus viel früherer Zeit. In der Zeit des Kaisers Titus ab 70 und vor allem Domitians ab 80 wurden Christen verfolgt. Vor diesem zeitlichen Hintergrund muss man die Geschichte vom menschlichen und göttlichen Richter lesen. Jesus sagt: Du hättest keine Macht, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre (19,11)! Welch ein befreiender Satz für alle von Machthabern gehöhnten und geknechteten Menschen! Kein Machthaber der Welt, der nicht letztlich von oben her Macht verliehen bekommen hat, aber sie vor allem auch nach oben hin verantworten muss! Pilatus wird durch Christus in seine Grenzen gewiesen. In diese Szene ist nun auch das siebte Ich-bin-Wort des Christus eingegliedert. Jesus bekennt sich als König der Wahrheit. Ich bin gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll, sagt er schlicht. Er ist ein König ohne Ansprüche und Herrschaftsallüren. Wahrheit ist im Hebräischen ein Begriff, der neben Klarheit auch Vertrauen, Gerechtigkeit, Geradlinigkeit, Sozialität in sich trägt. Jesus tritt für die Wahrheit ein. Das Wort Gott gebraucht er dabei nicht, aber gerade so ist Gott in der Welt! Solches Wahrsein ist immer auf Gottes Seite! Machthaber wie Pilatus und andere müssen sich anfragen lassen, ob ihr Tun die Gerechtigkeit, die Sozialität und Menschenliebe Gottes widerspiegelt oder nur Eigengerechtigkeit und Selbstbespiegelung ist. Das Reich dieses Ich-bin-Christus ist jenseitig und diesseitig zugleich, weil es sich nach oben hin verantwortet und weil es für diese Welt arbeitet. Jeder weltliche Machthaber oder Amtsträger soll sich nach dieser göttlichen Wahrheit Christi und nach seiner menschlichen Gerechtigkeit ausrichten, wenn er das Amt recht ausführen will Auch die Verfolgten und Unrecht Leidenden sollen wissen, dass am Ende der jetzt gekreuzigte, aber erhöhte Herr im Regiment sitzt..

 d) Sehet welch ein Mensch! (19,5)

Mit Recht wird dieser Satz als eines der ergreifendsten Worte der gesamten Heiligen Schrift bezeichnet. Das Christusbild wäre falsch, wenn es in all seiner Ganzheitlichkeit Gottes nicht auch die totale Ganzheitlichkeit der Menschen in sich trüge Wie kein Zweiter hat Johannes dies in seinem Christusbild überliefert. Die ganze Schäbigkeit des Menschen, seine Unklarheit und Unentschlossenheit(wie Pilatus), seine Grausamkeit (wie die Kriegsknechte), seine Kläglichkeit (wie Petrus), seine Kleinlichkeit (wie die Hohenpriester 19,.21), sein hasserfülltes Geifern (wie die Juden 19,12.15) – dies alles trägt Jesus mit, weil er der Mitmensch unter solchen Menschen wurde. Die wahre Mitmenschlichkeit drückt sich darin aus, dass er mit und für diesen Kontext lebt und leidet. Er kennt den Urschrei der Menschen im Durst nach dem Leben (19,28). Und von Jesus wird darum gesagt, dass er für die Seinen Sorge trägt bis zuletzt (18,9). Keinen lässt er los oder vergisst ihn.  Zweifellos hat Johannes damit von allen Evangelisten das geprägteste Bild vom Menschen Jesus überliefert, obwohl er auch das göttlichste Bild von ihm weiter gegeben hat. Bis zum Tod bleibt Jesus der Sendung von oben herab treu und bringt so das Menschsein schlechthin zu Gott. Diese Treue, Wahrheit und Ganzheitlichkeit helfen der Gemeinde in ihrem Existenzkampf mit der Welt!

 e) Es ist vollbracht. (19,30)

Anders als die anderen Evangelien schließt das Johannes-Evangelium mit einem getrosten Todesruf Jesu. Es ist vollbracht. Jesus hat alles getan, was für seine Schutzbefohlenen nötig war. Er hat der Welt Gottes Namen geoffenbart (17,6). Er tut Fürbitte für die Menschen (17,9). Er gibt ihnen die ganze Liebe Gottes (17,26). Er verliert keinen einzigen Menschen, den Gott ihm anvertraut hat (18,9). Er verurteilt die Menschen nicht, er verurteilt nur den Bösen, der hinter der Sünde der Menschen steht (19,11). Jesus stirbt als der wahre Mensch Gottes für das ganze Volk, für alle ohne Ausnahme (18,14). Nun ist das Werk vollbracht, und Jesus wird verherrlicht und erhöht zum Vater. Der Tod Jesu ist in der Sicht des Johannesevangelisten kein Unglück, keine Niederlage, kein Aufgeben, sondern ist Verherrlichung Gottes, ist der Durchbruch und Sieg des göttlichen Geschehens.  Jesus gibt mit dem Kreuzestod sein Werk in die Hände Gottes zurück. Im Kreuz leuchtet die Vollendung auf, denn Gottes Widermächte sind durch die Liebe besiegt.

 Zusammenfassung.

Im Johannesevangelium und seinem Passionsbericht liegt ein besonderer Entwurf der Heilsbotschaft Christi vor .Die Gemeinde Jesu muss zwar vor dieser Welt bestehen und in ihr kämpfen. Sie trägt aber eine Verheißung mit sich. Christus ist Richter und Retter der Menschen. Seine nicht endende Liebe ist mächtiges Vorbild für alles Tun und wird am Ende siegen. Christus in seiner Ganzheitlichkeit bestärkt die Menschen in ihrem angeschlagenen Ich. Christi Tod ist Gottes Herrlichkeit gegen die Machtbotschaften der Welt, die gefährdete Welt bleibt als Gottes geliebte Welt erhalten. Wer das Johannesevangelium gelesen und seine Botschaft vernommen hat, wird erfüllt von göttlicher Kraft und Erkenntnis. Er sieht über diese Welt hinaus und bleibt dem göttlichen Sinnen nahe.