Ausführungen (Vortrag) im Rahmen von Bizeps&Bibel der Ev. Erwachsenenbildung im Landkreis Esslingen online am 10. November 2020

Text der Hymne Patmos (mit Zeilennummern)

Begleitende Powerpointpräsentation zu den Ausführungen

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Friedrich Hölderlin, Patmos

Versuch einer Interpretation im Rahmen der Reihe „Bizeps&Bibel“
des Ev. Bildungswerks im Landkreis Esslingen im November 2020

Hölderlins Gedicht, oder besser gesagt, seine Hymne „Patmos“ zählt nach Ansicht von Experten neben den beiden anderen Christushymnen „Friedensfeier“ und „Der Einzige“ zu „Höhepunkten seines Werks“ und stellt einen „Gipfel der Weltliteratur“ dar.[1]  Es umfasst 226 Zeilen/Verse und 15 Strophen mit jeweils 3 mal 5 Versen, ist also sehr lang. Rezitiert dauert sie mehr als 12 Minuten.[2] Eine umfassende Deutung in allen Einzelheiten würde deshalb vermutlich ein Buch füllen. Das will und kann ich nicht leisten. Ich versuche statt dessen zunächst den Anlass und den geschichtlichen Hintergrund zu dieser Hymne darzulegen und dann bestimmte Stellen der Hymne herauszugreifen, die zeigen, wie Hölderlin anlassgemäß den Auftrag ausführt, aber mit seinen eigenen Vorstellungen durchdringt.

Entstehungsgeschichte der Patmos-Hymne

 [[1798 musste Hölderlin Hals über Kopf die Bankiersfamilie Gontard in Frankfurt verlassen, als seine Liebschaft mit der Bankiersgattin Susette aufflog. Hölderlin floh zu seinem Freund Sinclair nach Homburg. Dort kann er ungestört „Hyperion“ und andere Werke vollenden und sich immer wieder heimlich mit seiner geliebten Susette treffen. ]] Nach kurzen Stationen in Stuttgart und als Hauslehrer in Hauptwil in der Schweiz kehrt Hölderlin im Frühjahr 1801 nach Nürtingen zurück. Ende dieses Jahres bricht er nach Bordeaux auf, kehrt allerdings schon im Frühjahr 1802 zurück. Ende Juni trifft 1802 Hölderlin in Nürtingen (verwahrlost) ein[3]. Trotz oder gerade wegen des Zerwürfnisses mit seiner Mutter[4] reist er auf Einladung des Freundes Sinclair zum Reichstag nach Regensburg. Dort „schließt Hölderlin .. nähere Bekanntschaft mit dem Landgrafen von Hessen-Homburg, Friedrich Ludwig …, den der Dichter offensichtlich bei dieser Gelegenheit bittet, ihm ein „religiöses Zeitgedicht“ zu schreiben“[5]. Der Dichter Klopstock hatte zuvor die Anfrage des Landgrafen mit Hinweis auf sein betagtes Alter abgelehnt[6]. Der Landgraf wünscht nun echte religiöse Erbauung, da „die heutigen Philosophen, Aufklärer, Aufräumer … die Schrift und die Theologie“ verwässern.[7] Er wünscht sich eine Ode, die „diese neuen Ausleger … durch ihr Zeugnis … beschämen und ihre exegetischen Träume zu Boden … werfen“[8] soll.

 [[ Dieser Wunsch wirft m.E. eine bis heute aktuelle Fragestellung auf: Sind Verstand und kritisches Denken mit biblischen Texten in Einklang zu bringen? Darf Bibelkritik sein? Wenn ja, in welchem Maß und Umfang und mit welcher Verbindlichkeit? In welchem Sinne sind biblische Texte für Glaubenserfahrungen, für den christlichen Glauben und christliche Frömmigkeit/Spiritualität wichtig und bedeutsam? Welchen Stellenwert hat der in der Bibel bezeugte Jesus  bzw. Jesus Christus in diesen Zusammenhängen? Und nicht zuletzt: Wie sind andere religiöse Einschätzungen und Weltdeutungen im Vergleich zu biblischen Überlieferungen zu bewerten? ]]

Hölderlin entspricht dem Wunsch des Landgrafen mit der Hymne „Patmos“. Er dichtet sie in Nürtingen in den Wintermonaten 1802/1803. Sein Freund Sinclair überreicht die Hymne dann am 30. Januar 1803 dem Landgraf zu dessen 55. Geburtstag.[9]
Auf den ersten Blick erfüllt Hölderlin mit Patmos den Wunsch des Landgrafen, er möge den Stellenwert und die Wirkkraft der Bibel herausstellen.
So finden sich in der Hymne sehr viele biblischen Anspielungen, z.T.  wörtlich oder mit Wortsequenzen, die aus der Lutherübersetzung entstammen könnten[10].
Diese nutzt nun Hölderlin nicht biblizistisch, um eine pietistische Frömmigkeit oder eine amtskirchliche Rechtgläubigkeit zu begründen. Hölderlin entwickelt stattdessen mit den biblischen Bezügen seine ihm eigene poetische Religiosität und die darin enthaltene und entfaltete Gotteserfahrung als Geisterfahrung. Ich möchte dies durch Interpretation einiger Stellen der Hymne verdeutlichen.

Wo ist Gott  oder das Göttliche erfahrbar? Wie ist er fassbar?
In den mythologischen Göttererzählungen antiker Religiosität – so Hölderlin in der Zeit seiner Begeisterung für die antike griechische Kultur.
Mittels der Bibel und deren Lektüre – so die frommen pietistischen Kreise. In dogmatischen Formeln greifbar – so die Amtskirche. So erfuhr es Hölderlin in seiner Kindheit, Jugend und theologischen Ausbildung.
Oder ist Gott nirgends im alltäglichen Lebensvollzug erfahrbar, da Verstand und Vernunft das Alltägliche und die Welt umfassend erklären und gestalten können – so die radikalen Aufklärer.[11] Auch musste sich Hölderlin zeitlebens auseinandersetzen.

In der ersten  Strophe eröffnet das lyrische Ich[12] in 3mal 5 Versen dieses existentiell bedeutsame Thema. Ein Weg und eine Reise zum Ziel wird eröffnet. In den ersten fünf Versen spricht es in philosophischer Diktion. Die zweiten fünf Verse sprechen poetisch, die dritten fünf in Form der Bitte.
Die ersten fünf sind bekannt und schon zum geflügelten Wort geworden – meisten jedoch unverstanden:

Nah ist

Und schwer zu fassen der Gott.

Wo aber Gefahr ist, wächst

Das Rettende auch.

 

„Nah ist … der Gott“ –beginnt Hölderlin. Ganz allgemein spricht er hier von Gott – philosophisch und nicht biblisch oder christlich dogmatisch. „Das Göttliche“ nennt er es in anderen Werken. Erst am Ende der Hymne spricht Hölderlin im biblischen Sinn von Gott und nennt ihn „Vater“[13].
Zu Beginn sagt er: Der „Gott“ ist „nah“ „und schwer zu fassen“. „Nah ist…“ – die Nähe des Gottes kann als Gegenwart Gottes bzw. des Göttlichen im Hier und Jetzt oder im Innern eines Menschen gedeutet werden. Doch Hölderlin dürfte auch Phil 4,4 im Ohr bzw. im Sinn gehabt haben. Dort heißt es: „der Herr ist nahe!“[14], also das Ende der Geschichte mit einer neuen Gotteserfahrung. Dann wird sich Gott als der „liebende Vater“[15] erweisen, der alle Entzweiungen aufheben und in christlichem Geist alles mit sich versöhnen wird. Jetzt ist dieser Gott (noch) „schwer zu fassen“. Es besteht die Gefahr, ja sie ist da (!), Gott einseitig festzulegen

– mittels dogmatischer Festlegungen einer Kirche
– oder Fixierung des Göttlichen in der Religiosität von Kulturen (beim jüngeren Hölderlin beispielsweise der antiken griechischen Kultur).
– Festgelegt werden kann Gott auch indem er aus der Welt und dem alltäglichen Lebensvollzug verdrängt wird, wie es im aufklärerischen und modernen naturwissenschaftlichen Denken erfolgt[16].
Solche Versuche sind in ihrer jeweiligen Zeit und Konstellation geistige Höchstleistungen, sie bleiben aber begrenzt. Nebeneinander gesehen ergeben sie ein Bild schmerzhafter Entzweiungen und Trennungen. Man kann sie nicht zusammenbringen. Sie widersprechen sich anscheinend. So hat es Hölderlin in seinem bisherigen Leben und Denken erfahren. Er beschreibt diese Doppelsinnigkeit und Ambivalenz mit poetischen Bildern in den Versen 5 – 12.

 

Im Finstern wohnen

Die Adler und furchtlos gehen

Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg

Auf leichtgebaueten Brücken.

Drum, da gehäuft sind rings

Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten

Nah wohnen, ermattend auf

Getrenntesten Bergen,

„Das Bildprogramm der ersten Hymnenstrophe entnimmt Hölderlin seiner Ansicht der Alpen, die er 1801 während seiner Hauptwiler Hofmeisterzeit zu bewundern Gelegenheit hatte. Die Alpen können neben ihrer eindrucksvollen Größe auch Sinnbild einer schroffen Zerrissenheit werden. Dann gewahrt man die ‚Gipfel‘, alle für sich aufragend und keiner verbunden mit dem anderen, und zwischen den Gipfeln den ‚Abgrund‘, der tödlich gähnt, und was überhaupt lebt in solchem Gelände, wohnt abseits ermattend auf ‚getrenntesten Bergen‘. [17] Darunter leidet das lyrische Ich, in dem sich einerseits Hölderlin selbst andererseits wohl auch der jeweilige Leser und die Leserin in seiner Situation wiederfinden kann oder soll.
Dem lyrischen Ich bleibt nur die religiöse Form der Bitte an einen Genius.
Als „Genius“ wurde in der römischen Religion der Schutzgeist eines Menschen bezeichnet[18], heute würden viele wohl vom eigenen Schutzengel sprechen oder einem Gott, von dem sie glauben, er beschütze sie. Diesen Genius bittet das lyrische Ich um Möglichkeiten und Wege, die Trennungen und Entzweiungen, die Abgründe, zu überwinden.

So gieb unschuldig Wasser,

O Fittige gieb uns, treuesten Sinns

Hinüberzugehn und wiederzukehren.

Das lyrische Ich ist davon überzeugt, dass so wirklich werden kann: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Wichtig:  Das Rettende ist kein End-Zustand, kein einmaliges Ereignis, keine Rettung. Es ist „Im Wachsen“, „im Werden“. Die Rettung vollzieht sich als geschichtlicher Prozess.

Der Wunsch des lyrischen Ich an seinen Genius wird erfüllt. Es wird entführt. Weg vom eigenen Haus und der eigenen Heimat in fremde Länder – also weg vom eigenen Hausgott in geheimnisvolle Welten.

So sprach ich, da entführte

Mich schneller, denn ich vermuthet

Und weit, wohin ich nimmer

Zu kommen gedacht, ein Genius mich

Vom eigenen Hauß‘. Es dämmerten

Im Zwielicht, da ich gieng

Der schattige Wald

Und die sehnsüchtigen Bäche

Der Heimath; nimmer kannt‘ ich die Länder;

 

Die Route führt zunächst in die antike griechische Hochkultur mit ihren Schönheiten und „tausend Gipfeln“ – von Hölderlin poetisch „Asia“ benannt.

Doch bald, in frischem Glanze,

Geheimnißvoll

Im goldenen Rauche, blühte

Schnellaufgewachsen,

Mit Schritten der Sonne,

Mit tausend Gipfeln duftend,

Mir Asia auf,

Geblendet sieht sich das lyrische Ich um, sucht Bekanntes[19] und findet sogar „göttlichgebaute Paläste“[20], also Zeugnisse eindrücklicher göttlicher Erfahrungen.[21] Es fährt auf dem „Meer antiker griechischer Kultur und Religiosität“ umher, entschließt sich zuletzt zur Einkehr oder gar Rückkehr in eine weniger und gar nicht imposante Gegend, auf die Insel Patmos.

„Patmos“ – jetzt erscheint erstmals der Titel dieser Hymne. Geografisch ist Patmos eine Insel in der südlichen Ägäis und war in römischer Zeit eine Sträflingsinsel.
Was zieht das lyrische Ich dorthin?

 

Und da ich hörte

Der nahegelegenen eine

Sei Patmos,

Verlangte mich sehr,

Dort einzukehren und dort

Der dunkeln Grotte zu nahn.

Statt auf den Gipfeln antiker Religiosität und Kultur zu verweilen, entscheidet sich das lyrische Ich, auf Patmos einer „dunklen Grotte[22] zu nahn“. Hier sucht es Kontakt zum Göttlichen zu finden. Es trifft dort in Erinnerung und gleichzeitiger Vergegenwärtigung den Schreiber der Offenbarung, den Seher Johannes.

So pflegte

Sie [ die Insel Patmos] einst des gottgeliebten,

Des Sehers, der in seliger Jugend war

Gegangen mit

Dem Sohne des Höchsten, unzertrennlich

Im Seher Johannes erkennt Hölderlin den Jünger Jesu. Schon vor Hölderlin hatte sich in der Bibelwissenschaft die Meinung verbreitet, die Johannesoffenbarung und sogar das Johannesevangelium sei nicht vom Lieblingsjünger Jesu, Johannes, geschrieben worden. Für Hölderlin allerdings sind der Lieblingsjünger Jesu, der Verfasser des Johannesevangeliums und der Seher Johannes in der Offenbarung wie in der kirchlichen Tradition ein und dieselbe Person.[23]  Damit entspricht Hölderlin voll dem Wunsch seines Auftraggebers, des Landgrafen.
In dessen Sinne würde man jetzt eine Ausdeutung der endzeitlichen Aspekte
der Offenbarung erwarten – dem „Buch mit sieben Siegeln“.
Doch für Hölderlin ist allein Johannes als der Jünger Jesu von Bedeutung,

denn

Es liebte der Gewittertragende die Einfalt

Des Jüngers und es sahe der achtsame Mann

Das Angesicht des Gottes genau,

Johannes, von Gott, dem Gewittertragenden geliebt, sah das Angesicht Gottes in Christus, er begegnete Gott in Christus.
Konsequenterweise tritt ab jetzt das lyrische Ich völlig zurück und statt dessen rückt das ins Bild, was Johannes als Glaubenserfahrung vermittelt.[24] „Johannes steht für einen Christusglauben, der von der körperlichen Präsenz des Göttlichen zur vollkommenen Vergeistigung übergegangen ist.“[25] :

Die körperliche Präsenz des Göttlichen vermittelte Christus letztmalig beim Abendmahl. Dort zeigte er die Liebe zu den Menschen, die Güte Gottes, die Furchtlosigkeit vor dem Tod und sprach aufmunternde Worte beim Anblick einer erbarmungslosen Welt, denn „alles ist gut“.
Hymnisch-poetisch klingt das so:

es sahe der achtsame Mann

Das Angesicht des Gottes genau,

Da, beim Geheimnisse des Weinstoks, sie

Zusammensaßen, zu der Stunde des Gastmahls,

Und in der großen Seele, ruhigahnend den Tod

Aussprach der Herr und die letzte Liebe, denn nie genug

Hatt‘ er von Güte zu sagen

Der Worte, damals, und zu erheitern, da

Ers sahe, das Zürnen der Welt.

Denn alles ist gut.[26]    …….

(Pause)———————————————————————————

Drauf starb er. Vieles wäre

Zu sagen davon. Und es sahn ihn, wie er siegend blikte

Den Freudigsten die Freunde noch zulezt,

Doch trauerten sie, da nun

Es Abend worden

 

Trauer stellt sich ein. Die unmittelbare Gottesgegenwart in Christus ist weggenommen. Was nun? Die folgenden Verse lesen sich wie die in Poesie gefasste Emmausgeschichte[27]. Die Jünger waren auf dem Weg in ihre Heimat, nach Emmaus. Sie waren traurig, dass Jesus tot war, der sie allerdings als Fremder inkognito auf dem Weg begleitete. Und am Ende sprachen sie zueinander: „Brannte nicht unser Herz?“ Hölderlin verleiht der Trauer und der Sehnsucht nach Gottesgegenwart in folgenden Versen Ausdruck:

 

Doch trauerten sie, da nun

Es Abend worden, erstaunt,

Denn Großentschiedenes hatten in der Seele

Die Männer, aber sie liebten unter der Sonne

Das Leben und lassen wollten sie nicht

Vom Angesichte des Herrn

Und der Heimath. Eingetrieben war,

Wie Feuer im Eisen, das, und ihnen ging

Zur Seite der Schatte des Lieben.

Die sichtbare Gegenwart Gottes in Christus ist dahin. [28]

Doch die Jünger müssen nicht gottverlassen bleiben.

Drum sandt‘ er ihnen

Den Geist, und freilich bebte

Das Haus und die Wetter Gottes rollten

Ferndonnernd über

Die ahnenden Häupter, da, schwersinnend

Versammelt waren die Todeshelden,

Es wird Pfingsten. Die „Freunde“ oder „die Liebsten“, wie Hölderlin sie nennt, erhalten den Geist. Die Verse enthalten fast wörtliche Anspielungen auf die Pfingstgeschichte, wie sie Lukas in Apostelgeschichte 2 erzählt.[29]

An die Stelle von Christus tritt nun der Geist. „denn itzt erlosch der Sonne Tag“, „der Königliche“. Unmittelbare Gegenwart Gottes, direkte Nähe und Güte Gottes „sind erloschen“. Aber es bleibt Hoffnung:
Denn wiederkommen sollt es

Zu rechter Zeit.[30]

Hölderlin nimmt hier den Glauben an die Wiederkunft Christi auf. Er liegt damit im pietistischen Mainstream seiner Zeit.[31] Allerdings übernimmt Hölderlin nur das eschatologische, endzeitliche Denken. Andere Zusammenhänge, die pietistische Väter wie Friedrich Christoph Oetinger oder Johann Albrecht Bengel zur Wiederkunft Christi aus der Offenbarung des Johannes herauslasen, waren Hölderlin fremd.[32]

In der Zeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft Christi bleibt der Geist. Ein Geist, der zu Lebzeiten von Christus gezeigt und besprochen wurde: Güte Gottes, Menschenliebe, Überwindung der Trennungen und Entzweiungen, so dass gelten kann: „alles ist gut“.
Für diejenigen, die von diesem Geist beseelt sind, „die Liebsten“ oder „Freunde“ war
 es „Freude“

Von nun an,

Zu wohnen in liebender Nacht, und bewahren

In einfältigen Augen, unverwandt

Abgründe der Weisheit.

Diese Liebsten schließen sich zu einer unsichtbaren Geistgemeinde zusammen. Sie reichen sich bildlich gesprochen die Hände zum Schwur.  Vom Geist Gottes ergriffen erfassen sie den Gott in Christus als den, der zwar von ihnen wegeilt, aber zu ihnen zurückblickt. In diesem Rückblick eröffnet er ihnen, was das Böse ist. So verstehe ich den Schluss der 9. Strophe.

Die Loken ergriff es, gegenwärtig,

Wenn ihnen plözlich

Ferneilend zurük blikte[33]

Der Gott und schwörend,

Damit er halte, wie an Seilen golden

Gebunden hinfort

Das Böse nennend, sie die Hände sich reichten

 

Die beiden folgenden Strophen erklären die Notwendigkeit und Wichtigkeit einer solchen „Geistreligion“[34] und „Geistkirche“ sowie ihr Aufeinandertreffen mit einer „geistlosen“ Welt bis zur Wiederkunft Christi. (Verse 135 – 175). Ich spare mir hier eine detaillierte Auslegung.

Dann aber wendet sich das Blatt und es waltet das unsterbliche Schicksal:

… es waltet aber

Unsterblicher Schicksal und es wandelt ihr Werk

Von selbst, und eilend geht es zu Ende.

Wenn nemlich höher gehet himmlischer

Triumphgang, wird genennet, der Sonne gleich

Von Starken der frohlockende Sohn des Höchsten,

Ein Losungszeichen, und hier ist der Stab

Des Gesanges, niederwinkend,

Denn nichts ist gemein.[35] Die Toten wecket

Er auf, die noch gefangen nicht

Vom Rohen sind. Es warten aber

Der scheuen Augen viele

Zu schauen das Licht.

Das Werk der geistlosen Welt geht eilend auf ihr Ende zu. Die Wiederkunft Christi wird zum „Triumphgang“. Er weckt die Toten auf, diejenigen, die die Unmenschlichkeit, „das Rohe“ noch nicht in ihre Gefangenschaft gebracht hat.
Viele warten noch scheu auf eine neue Erleuchtung. Wo ist sie erkennbar? Woher kommt sie?

“aus heiliger Schrift“. Die Welt hat dies stirnrunzelnd[36] in ihrer Überheblichkeit vergessen. Die „stillleuchtende Kraft“ der Schrift zeigt sich für „die Liebsten“, die „Freunde“ ohne deren Zutun, aus Gnade. Freudig dürfen sie mit „stillen Blick“ die Schrift betrachten – also  meditativ nachsinnend im von Christus gesandten Geist, nicht aufklärerisch sezierend bibelkritisch.

Wenn aber, als

Von schwellenden Augenbraunen

Der Welt vergessen

Stilleuchtende Kraft aus heiliger Schrift fällt, mögen

Der Gnade sich freuend, sie

Am stillen Blike sich üben.

Wenig überraschend kommt konsequenterweise wieder der lyrische Ich und der Adressat der Hymne, der Landgraf von Homburg in den Blick. Der ewige Vater liebt beide – ein stilles Zeichen dafür ist die Schrift, die – so weiß es ja Hölderlin -dem Landgrafen „viel gilt“.

Und wenn die Himmlischen jetzt

So, wie ich glaube, mich lieben

Wie viel mehr dich,

Denn eines weiß ich,

Daß nemlich der Wille

Des ewigen Vaters viel

Dir gilt. Still ist sein Zeichen

 

Scheinbar ganz fromm dichtet Hölderlin dann weiter:

„Und Einer stehet darunter

Sein Leben lang. Denn noch lebet Christus“.

Allerdings weitet Hölderlin den Horizont dieser frommen Redewendung. Er  bindet sie in eine universale Sichtweise ein. Hölderlin sprengt ein für seine Begriffe enges auf persönliche Erlösung zielendes Christusverständnis – wie es in der kirchlichen und pietistischen Tradition seiner Zeit angelegt war. Für Hölderlin ist wichtig: „Christus, der „Sohn“, hat nicht nur einmal gelebt, er ist nicht einmal gestorben, und er vermittelt durch seinen Tod nicht ein für allemal den „Geist“, der zum „Vater“ leitet. Denn Geschichte dauert ja immer noch an.“[37] Und Geschichte gab es schon vorher, in der er, der Christus lebendig war. Deshalb dichtet er:

Denn noch lebt Christus.

Es sind aber die Helden, seine Söhne

Gekommen all und heilige Schriften

Von ihm und den Blitz erklären

Die Taten der Erde bis itzt,

Ein Wettlauf unaufhaltsam. Er ist aber dabei. Denn seine Werke sind

Ihm alle bewußt von jeher.[38]

Christus ist im gesamten Verlauf der Geschichte – einem unaufhaltsamen Wettlauf- dabei – bei allen Ausprägungen von Mythologien, Kulturen, Religionen und geistigen Entwicklungen:

Die Helden der Antike mit ihrer Götterwelt gelten als seine Söhne. Heilige Schriften der hebräischen Bibel und des Neuen Testaments zeugen von ihm. Naturvorgänge können innerweltlich erklärt werden. Alles sind „seine“ Werke, Christus schon immer bis zum jetzigen Zeitpunkt bewusst – vielleicht muss man so deuten: „in seinem Geist“ enthalten, mit allen Gegensätzen, Trennungen und Entzweiungen.

Allerdings ist dies noch nicht im Bewusstsein der Welt angekommen und seit langer Zeit nicht sichtbar.

Zu lang, zu lang schon ist

Die Ehre der Himmlischen unsichtbar.

Denn fast die Finger müssen sie

Uns führen und schmählich

Entreißt das Herz uns eine Gewalt.

Denn Opfer will der Himmlischen jedes,

Wenn aber eines versäumt ward,

Nie hat es Gutes gebracht.

Wir haben gedienet der Mutter Erd‘

Und haben jüngst dem Sonnenlichte gedient,

Unwissend,

Die Ehre der Himmlischen, also „das Erscheinen und Offenbarwerden Gottes“[39], ist immer noch unsichtbar. Und dies, obwohl im Laufe der Geschichte bis zur Gegenwart vielfältigen Göttern auf unterschiedliche Arten gehuldigt wurde  
– z.B. der Mutter Erd: Ich denke, hier liegt eine Anspielung auf die  Erdgöttin „Gaia“ vor, die in der griechischen Mythologie die erste Göttin ist, aus der alle anderen Götter hervorgingen. Somit dürfte hier auf die Götterverehrung der griechischen Antike angespielt sein.
– Gedient wurde auch „jüngst“, also bis zu Hölderlins Zeiten, „dem Sonnlichte“, also der Aufklärung.
In beiden Fällen:

„Nie hat es Gutes gebracht!“

Denn es geschah „unwissend“, nicht im Sinne des „Geistes“, im Sinne des Vaters, dessen Repräsentant der Geist als „Nachfolger“ des Christus, des Sohnes Gottes ist.

Was ist dann jetzt angesagt?

der Vater aber liebt,

Der über allen waltet,

Am meisten, daß gepfleget werde

Der veste Buchstab, und bestehendes gut

Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.

Der Liebe des Vaters, des allumgreifenden und allumfassenden göttlichen Geistes, entspricht „die Pflege des festen Buchstabens“, also der biblischen Überlieferung. Hölderlin formuliert hier gemäß dem reformatorischen Schriftprinzip „sola scriptura – allein die Schrift“ und einem pietistischen Bibelstudium, wie es z.B. Johann Albrecht Bengel gelehrt hat.[40]. Nun nicht in einem fundamentalistischen Sinn, der die Bibel als Wort für Wort von Gott eingegeben und deshalb für unfehlbar und  nicht hinterfragbar hält.
Hölderlin ist wichtig, dass „bestehendes gut gedeutet“[41] wird. Gute Deutung „bedarf des Geistes, nicht ausschließlich des Verstandes“[42]. Dem trägt vor allem die Poesie Rechnung –„deutscher Gesang“[43].
Die Patmos-Hymne ist als solcher „Gesang“ zu verstehen. „Als Dichtung ist sie selbst schon Deutung eines Textes — des biblischen Textes.“[44].
Die Patmons-Hymne besingt den Weg von der Trennung und Entzweiung der Wirklichkeit zu deren Überwindung, das „Wachsen des Rettenden in der Gefahr“. Sie „redet nicht nur von möglicher Versöhnung des Getrennten. [Sie ] enthält und vermittelt sie vorwegnehmend.“[45]

Dies alles ist nur möglich „im Geist“.

Für Hölderlin ist der „Geist“ nicht der ungebundene frei schwebende, philosophisch denkende und sich ausdenkende Geist im Verstand und Bewusstsein des Menschen, sondern der sich an der biblischen Überlieferung orientierende und diese „gut deutende“ Geist.[46] In und durch diesen Geist spricht sich der göttliche Vater aus, der am Ende alles versöhnen wird.

Es ist schön, dass Hölderlin zu dieser poetischen „Rückbindung“ an die biblische Tradition vor seiner „Zeit im Turm“ wieder in Nürtingen findet, an dem Ort, an der er sie einst einengend in seiner Kindheit und Jugend erlebt. Nun verwandelt und entfaltet er sie in dieser Umgebung neu. Vielleicht haben die Glocken von St. Laurentius, die er in Brot und Wein[47] erwähnt und die er im Breunlinschen Haus gegenüber der Kirche täglich hören konnte, auch ein wenig dazu beigetragen. [48]

 

 


[1] U. Fentzloff in einem Vortrag im Roten Haus in Nürtingen am 19.2.2020 Manuskript S. 1; Ebenso J. Schmidt 1990 im Vorwort zu „Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen“ https://www.freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:6387/datastreams/FILE1/content;

[2] Vgl. z.B. Benjamin Krämer-Jenster  https://www.youtube.com/watch?v=PNQY_KCUwYc

[3] Vgl. die Darlegungen von Knubben, Hölderlin. Eine Winterreise, 2012  (eBook) in Kap 24 Heimkunft: „das Zeugnis von Julius Breunlin … »starr vor Schrecken über den schaurigen Eindruck von dem an Geist und Leib heruntergekommenen Sohn und Bruder«. Und „die Schilderungen Friedrich von Matthissons. Er erlebt den Heimkehrer »leichenbleich, abgemagert, von hohlem wildem Auge, langem Haar und Bart, und gekleidet wie ein Bettler«.“ (Seitenangabe in eBook  variiert)

[4] Da seine Mutter vor seiner Ankunft sein bereits eingetroffenen Koffer öffnete und dort die Liebesbriefe an Susette Gontard fand, kam es bei seiner Ankunft zu einem Eklat, Hölderlin wird rasend und jagt die Mutter und sämtliche Mitbewohner aus dem Haus. Vgl. Knubben a.a. O.bzw. Safranski, Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund!, München 2019 (eBook)  in Kapitel 14 am Schluss als Zitat aus Waiblinger „:In Nürtingen bei seiner Mutter angelangt, jagte er sie und sämtliche Hausbewohner in der Raserei aus dem Hause“ (Seitenangabe in eBook  variiert)

[5] Zitiert aus Bernhard M Baron in seinem Internetartikel „Zum 250. Geburtstag des Dichters Friedrich Hölderlin“ : https://www.literaturportal-bayern.de/journal?task=lpbblog.default&id=2024 . Dort auch genauere Informationen über die politischen Absichten des Landgrafen.
Bemerkung: Es muss wohl sinnententsprechend heißen: „der den Dichter offensichtlich bei dieser Gelegenheit“  GK

[6] Vgl. zu allem die Ausführungen von J. Schmidt in „Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen“ Darmstadt 1990 S. 185ff zitiert nach https://www.freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:6387/datastreams/FILE1/content

[7] Zitiert nach : Schmidt, a.a.O. S. 185

[8] Zitiert nach : Schmidt, a.a.O. S. 185f
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hielt im Zuge der Aufklärung die sog. Historisch-kritische Methode immer mehr in die Bibelauslegung Einzug. Oft gegen den Willen und den Widerstand der Amtskirche und des aufkommenden Pietismus. Beispielhaft dafür ist der sog. „Fragmentenstreit“ in Hamburg zwischen Lessing und dem Hamburger Hauptpastor Goeze. Anlass dafür war die Veröffentlichung der bibelkritischen Schriften des Hamburger Gymnasialprofessors für alte Sprachen Hermann Samuel Reimarus. Reimarus hatte sich Jahre zuvor nicht gewagt, Schrift Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes zu veröffentlichen. Darin  analysierte er gründliche die biblischen Schriften auf Ungereimtheiten und Widersprüche und kritisierte den biblischen Wunderglauben. „Er glaubte, dass die Jünger den Leichnam Jesu aus dem Grab gestohlen haben und anschließend das Märchen von der Auferstehung erfunden haben, um ihr Leben als Apostel der Jesus-Bewegung auf Kosten der Gläubigen weiterführen zu können“ vgl. https://www.ndr.de/geschichte/koepfe/Reimarus-Der-Vater-der-moderen-Theologie,reimarus100.html  . Lessing veröffentlichte Teile („Fragmente“). Als er ein Publikationsverbot für das Gebiet der Religion erhielt, zog er sich in den Bereich der Literatur und des Schauspiels zurück und brachte darin seine religiösen Ansichten zum Ausdruck, z.B. in der berühmten Ringparabel in „Nathan der Weise“.

[9] Strunk S. 282 .
„Am 6.  Februar 1803 meldet Sinclair, er habe dem Landgrafen das Widmungsexemplar (H5) überreicht, dieser habe das Gedicht  >>mit vielem Dank und Freude aufgenommen << und freue sich darauf, den Dichter in Homburg zu sehen“ Anmerkung in HÖLDERLIN, Sämtliche Werke Zweiter Band, Stuttgart 1951, Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe, hg. Friedrich Beißer S. 764

[10] R. Strunk S. 282 : „In keinem seiner poetischen Werke vorher hat der Dichter sich so eng an die biblischen Vorlagen gehalten, so sehr ans Johannesevangelium und dort insbesondere an Kapitel 16.“

[11] Z.B. Immanuel Kant als „Allzermalmer der Metaphysik“ und Entzauberer der Gottesbeweise oder Rene Descartes, der mit seiner Unterscheiden von res cogitans und res extensa die Grundlegung naturwissenschaftlichen Denkens setzte und viele Philosophen des 18. Jahrhunderts.

[12] Hinter dem lyrischen Ich verbirgt sich natürlich zunächst Hölderlin selbst. Im lyrischen Ich kann auch der Leser seine eigene Situation oder Erfahrungen wiedererkennen. Im Nachvollziehen des Gedichts kann der Lesen den Weg des „lyrische Ich“ mitgehen und zu sich selbst finden. R. Safranski hat deutlich herausgestellt, wie die „Suche nach erfülltem Sein“ ein wesentliches Element in Hölderlin Werk „Hyperion“ darstellt und damit auch Hölderlins eigenes Bedürfnis.

[13] Vers 203 und Vers 220. Dass Hölderlin diesen Gott im Blick hat, zeigt sich darin, dass in späteren Versionen der Hymne die ersten beiden Zeilen lauten: „Voll Güt‘ ist .. keiner aber fasset allein Gott“  aus: http://www.zeno.org/Literatur/M/H%C3%B6lderlin,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+1800-1804/%5BHymnen%5D/Patmos+%5BAns%C3%A4tze+zur+letzten+Fassung%5D

[14] R. Strunk, Echo des Himmels. Hölderlins Weg zur poetischen Relgion. Stuttgart 2007, weist in einer Anmerkung auf S. 278 darauf hin, dass Hölderlin die Stelle auf dem Philipperbrief „nicht nur gekannt, sondern in sein Werk auch eingebracht hat“. Meiner Meinung nach könnte mit „nah“ auch ein Bezug zur Reichgottesverkündigung vorliegen. „Das Himmerlreich ist nahe herbeigekommen“ Mt 4,17,Mk 1,15 usw. Dies scheint mir insofern nicht abwägig als für die 3 Stiftler Hegel, Hölderlin und Schelling „Reich Gottes“ ein Losungswort war. vgl.Safranski Dritte Kapitel Abschnitt „der Freundesbunjd und das >>Reich Gottes<< . So würde sich hier sinngemäß die Nah-Erwartung des Gottesreiches von Hölderlin thematisiert.

[15] S. Verse 202 und 222. Schmidt bemerkt auf S. 274: „Der „Vater“ ist für Hölderlin ein schlechthin universales Prinzip, das alles einschließt.“

[16] Diese 3 Aspekte streift Hölderlin immer wieder

[17] Strunk S. 227

[19] Vers 31f

[20] Vers 45

[21] Schmid deutet auf S. 219 die einzelnen „Topoi“ bzw. Orte und Attribute in den Versen 32 – 45

[22] Grotte – entweder historisch zu verstehen im Sinne der Legende, dass die Offenbarung an den Seher Johannes in einer Grotte stattgefunden hat. Man könnte hier auch ein Anspielung auf die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem, einer dunklen Grotte, sehen. Gottesoffenbarung somit im Weihnachtsgeschehen.

[23] Vgl. dazu Schmid, S. 189, der speziell auf J.J. Semler verwies, der als einer der ersten die Verfasserschaft der Offenbarung durch den Jünger Johannes bezweifelte.

[24] Strunk S. 280

[25] Safranski 14. Kapitel Abschnitt Die >>Patmos<<-Hymne

[26] Schmidt zeigt auf den Seiten 221f die vielfältigen Anspielungen Hölderlins auf das Johannesevangelium und dort besonders auf die sog. „Abschiedsreden“ in den Kapiteln 14 + 15.: die Liebe untereinander (z.B. Joh 14,21), die Rede von der (bösen, gottfeindlichen) „Welt“ (Joh 15, 8ff).

[27] Lk  24,13ff

[28] Schmidt bemerkt in diesem Zusammenhang, dass Hölderlin nirgends das Phänomen der Auferstehung anspricht und führt aus: „als historisches Faktum ist die Auferstehung seit Reimarus obsolet. Wenn Hölderlin dem Wunsch des Landgrafen im engeren Sinne gefolgt wäre, hätte er sich in seiner Hymne gerade dieser entscheidenden Bibelkritik entgegenstellen müssen. Statt dessen trägt er ihr Rechnung! Indem er seinerseits die Auferstehung übergeht und alles Gewicht auf die Aussendung des Geistes und dessen eschatologisches

Wirken in der Geschichte legt, läßt er den historischen Anteil der aufklärerischen Kritik an seiner pneumatisch-geschichtsphilosophischen Konzeption erkennen“ S. 240

[29] Brausen vom Himmel und gewaltiger Wind erfüllt das Haus und Feuerzungen setzten sich auf das Haupt jedes Anwesenden

[30] Es ist wohl kein Zufall, dass diese zwei Verse in der Mitte des Hymnus stehen!

[31] Vgl. dazu Schmidt S. 194

[32] Johann Albrecht Bengel berechnete die Wiederkunft Christi auf das Jahr 1836 vgl. G. Schäfer, Zu erbauen und zu erhalten das rechte Heil der Kirche, Stuttgart 1984 S. 149f.  Oetinger erwartete vor der – von Bengel berechneten – Zeit um 1836  die Rückkehr der Juden in das Heilige Land. Vgl. Artikel zu Oetinger in Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Christoph_Oetinger

[33] Schmidt S. 241 sieht darin Anspielungen auf die Erscheinungen Christi bei den Jüngern nach seiner Auferstehung in Joh 20 und 21

[34] »Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte größte Werk der Menschheit sein.« lautete schon der Schlusssatz des „Systemprogramm des deutschen Idealismus“, das die drei Freunde im Evangelischen Stift im Tübingen, Hölderlin, Hegel und Schelling erstellten. Vgl. Safranski am Ende von Kapitel acht. In gewandelter Weise, jetzt mit deutlich biblischen Bezug zum Johannesevangelium führt Hölderlin dies hier fort.

[35] Schmidt deutet diese Aussage im Sinne der Allversöhnung, die Hölderlin im Einklang mit manch‘ pietistischer Einschätzung gegen die orthodoxe Lehre vom Jüngsten Gericht. „Nichts ist gemein“ bedeutet dann, dass es nichts an sich Böses und Schlechtes gibt …  und deshalb am Ende der Zeit nichts endgültig verworfen ist, vielmehr alles „wiederhergestellt“ werden kann.“ S. 265f

[36] So interpretiere ich die „schwellenden Augenbrauen“. Eine andere Deutung wäre: Geschwollene Augenbrauen treten meistens morgens nach dem Erwachen aus dem Schlaf auf und lassen den Menschen müde und matt aussehen. Das hieße in diesem Fall: Beim Aufwachen der Welt  (Aufklärung!) vergisst diese die Schrift während diese eine stille Leuchtkraft entfaltet, so dass den scheuen Augen die Gnade gewährt wird, das Licht zu sehen!

[37] Schmidt S. 208

[38] Binder S. 118 sieht hier ein fast wörtliches Zitat von Apg 15, 18 mit deutlichem Bezug Hölderlins zum griechischen Urtext.

[39] Strunk S. 283f

[40] Strunk S. 251. Von Bengel stammt ja der Satz: „Wende dich ganz dem Text zu, dann wende die ganze Sache auf dich an!“ („Te totum applica ad textum: rem totam applica ad te“ Vorrede zur Handausgabe des Griech. N.T. 1734)

[41] Binder interpretiert dies sogar noch tiefergehend, wenn er „gut“ mit „Gott“ gleichsetzt. „Bestehendes gut deuten“ heißt der uns bekannten Etymologie zufolge: Bestehendes im Sinne Gottes deuten.“ S. 124

[42] Strunk S. 251

[43] Binder vermutet sogar, dass Hölderlin statt „vaterländischem Gesang“ hier bewusst „deutscher Gesang“ gesetzt hat „um der betont deutschen Gesinnung des Landgrafen willen“. S. 122

[44] Schmidt S. 193

[45] Strunk S. 286

[46] Ein Kapitel bei Schmidt mit der Überschrift: „Die „Schrift“ als Halt und als Medium des Geistes“ S. 256 bringt dies gut auf den Punkt.

[47] Brot und Wein Strophe 1

[48] Strunk S. 245: „Es ist wie eine Heimkehr. Der Lebensbogen, den er durchlaufen hat, führt Hölderlin nicht nur in biographischer Hinsicht nach Nürtingen zurück. In diesen Jahren zwischen 1801 und 1803 kehrt er auch geistig heim in Horizonte, in denen er einmal angefangen hatte und aus denen er mit Entschiedenheit ausgewandert war: Die Welt des schwäbischen Pietismus. Natürlich geschah das nicht so, dass er sich regressiv in die Lebensweise und Glaubenspraxis zurückversetzt hätte. Aber er hat sich Teile davon anverwandelt. Er ist … in Maßen durchaus zu einem „Pietisten höherer Ordnung“ geworden.“