Der erste Teil ist eine gekürzte Fassung des Vortrags vom 10.11.2016

Dazu kommen Ausführungen zum „freien Willen“, zum verborgenen und offenbaren Gott und dem christlichen Freiheitsbegriff.

Übersicht

Luthers „Reformatorische Entdeckung“

Die 4 Exklusivpartikel : sola gratia – sola fide – solus christus – sola scriptura (bzw. solo verbo)

Luthers Gottesverständnis in „De servo arbitrio“ („Vom unfreien Willen“) 1525

Gott als Freiheitstifter

„Der Gott, der das Paradies aufschließt“ – ein immerwährender Prozess

Einleitung und Gegenwartsbezug

Ich möchte nicht direkt mit Martin Luther beginnen, sondern zunächst einmal umreißen, was Menschen unter „Gott“ verstehen.

Jeder wird folgender Aussage zustimmen: Gott ist für glaubende Menschen die höchste Instanz, das oder der, an dem sich diese Menschen orientieren. Vor ihm müssen sie ihr Handeln verantworten. Vor ihm müssen sie ihr Tun und Lassen rechtfertigen. Gott ist die Instanz, die es Menschen ermöglicht, gut im Hier und Jetzt zu leben und spätestens nach dem Tod im ewigen Leben „paradiesisch“ zu leben .

Eine solche höchste Instanz gibt es in unserem westlichen Kulturkreis heute für viele Menschen nicht mehr. Viele wollen und können nicht mehr von solch‘ einer „fremden Instanz“ abhängig sein. Sie wollen selbst bestimmen, was sie tun, wie sie leben und wie sie mit ihrem Leben klar kommen. Jeder und Jede will sich selbst sein Leben „gut und schön machen“. Dabei kann und muss er oder sie ständig unter vielen Möglichkeiten auswählen. Woran ein Mensch sich orientiert, daran wird er als Person gemessen – misst er sich selbst und messen ihn andere. Jeder Mensch muss sich für sein Handeln und für seine Wahl rechtfertigen – nicht nur der Politiker. Wir stehen unter einem ständigen „Rechtfertigungszwang“ – nicht zuletzt deshalb, weil unser „Ansehen“, unsere Akzeptanz durch andere davon abhängt

„Gehen Sie regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung?“ „Haben Sie Aktien und eine Lebensversicherung?“ „Treiben Sie regelmäßig Sport?“ „Kaufen Sie viele Produkte im Eine-Welt-Laden?“ „Vermeiden Sie möglichst viel Müll und trennen diesen?“ „Sind Sie schon einmal mit dem Flugzeug in den Urlaub geflogen?“ „Sind Sie verheiratet?“ „Gehen Sie regelmäßig zur Kirche?“

Vielleicht spüren Sie schon an diesen Fragen, wie der „Rechtfertigungsmotor“ in Ihnen anspringt.

Auch ohne eine höchste Instanz Gott stehen heutige Menschen im abendländischen Kulturkreis unter Rechtfertigungsdruck. Andere „Instanzen“ sind heimlich und oft unbewusst an die Stelle Gottes getreten. Der moderne Mensch muss vielem „gerecht“ werden, sich rechtfertigen, sich seine Akzeptanz selbst erarbeiten und schaffen.

Für Luther war Gott wie allen Menschen seiner Zeit solch‘ eine „höchste Instanz“. Ihm musste und wollte er schon als junger Mensch „gerecht“ werden. Er rang darum, von Gott durch ein „gerechtes Urteil“ anerkannt zu werden. Wir wissen alle, dass er darin scheiterte. Durch seine sog. „reformatorische Einsicht“ hat sich seine Vorstellung und sein Glaube an Gott gewandelt

Ich möchte zunächst mit Ihnen lesen, wie Martin Luther diese Wandlung im Rückblick schildert und seine neue Sicht im Unterschied zu damaligen – und vielleicht noch heute – geläufigen Vorstellungen interpretieren.

Text vorlegen und vorlesen!

Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten von „Gerechtigkeit Gottes“

Eine wichtige und m.E. im weltlichen Bereich richtige Vorstellung von Gerechtigkeit lautet: Jeder Mensch wird ohne Ansehen der Person nach einer vorgegebenen Norm gleich beurteilt und entsprechend belohnt oder sanktioniert. Z.B. . Im Berufsleben sollte eigentlich der Lohn dann gerecht sein, wenn für die gleiche Arbeit der gleiche Lohn bezahlt wird, also alle Beschäftigten- ob Mann oder Frau – an einem gleichen Maßstab gemessen werden. Wer nicht die entsprechende Leistung bringt, erhält weniger Lohn oder wird gar entlassen, weil er die Leistung nicht erbracht hat.

Wir kennen diese Vorstellung in der bildlichen Darstellung der „IUSTITIA“ der Gerechtigkeit:

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Eine Frau mit verbundenen Augen und einer Waage in der Hand. Die verbundenen Augen symbolisieren die Neutralität und Unparteilichkeit der Justiz. Die Waage sagt aus, dass nach gleichem Recht das Urteil gesprochen wird. Jeder erhält das Urteil, das er nach vorgegebenem Maßstab erhält.

„Wer sich nichts oder nicht viel hat zuschulden kommen lassen, wird vom Richter gerecht bzw. frei gesprochen, der andere wir aufgrund seiner vielen schlechten Taten verurteilt“

image003.png Als „formale, aktive Gerechtigkeit“ bezeichnet sie Luther. Als Gelehrter weiß Luther, dass diese Vorstellung auf den Philosophen Aristoteles zurückgeht der formuliert hatte: „Indem wir das Gerechte und Gute tun, werden wir gerecht“.

Das Tun bestimmt das Sein des Menschen. Oder etwas persönlich und drastisch formuliert: „Du bist, was du tust! Du bist soviel wert, wie du leistest“ – das gilt auch in geistlicher Hinsicht, in der Beziehung des Menschen zu Gott.

So lernte es Luther in seinem Jura- und später Theologiestudium kennen und übertrug es entsprechend kirchlicher Tradition auf die Beziehung des Menschen zu Gott.

In meinem vorletzten Somerurlaub fand ich in im Greifswalder Dom an einem der Seitenwände folgende Malerei mit der Unterschrift:

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„Man hat dich in einer Wage gewogen.
Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht“

Gott ist gerecht, indem er den Menschen gerecht nach seinen Taten beurteilt.

Genau das war Luthers Problem. Selbst als untadeliger Mönch konnte er kein positives Urteil des Richter-Gottes für sich erwirken. Das Evangelium war für ihn – so verstanden – keine Frohbotschaft, sondern eine Drohbotschaft.

Auch die herrschende mittelalterliche katholische Lehre, in Anlehnung an Aristoteles vom Kirchenlehrer Thomas von Aquin ausgesprochen, half ihm nicht. Diese Lehre enthielt keine plumpe Werkgerechtigkeit. Sie glich eher einer Vorstellung, die m.E. bis zum heutigen Tag noch verbreitet ist – unter Katholiken und vielen anderen Christen, vielleicht auch als „evangelisch“ ausgegeben wird.

Wie sieht diese Vorstellung aus? image007.png
Nach dem Sündenfall , im Stand der sog. „Erbsünde“ ist der Mensch unfähig, so viele gute Werke zu vollbringen, die die schlechten Werke aufwiegen könnten. Aus eigener Kraft kann der Mensch deshalb nicht mit Gott ins Reine kommen.

Aber nun kommt Gott im Sakrament der Taufe dem Menschen mit seiner Gnade zuhilfe. „Gott gestaltet durch das Sakrament der Taufe den Menschen, der sein Feind war, zu seinem Freund um. Gott hilft dem Menschen, dass er in Glaube, Liebe, Hoffnung leben kann und so im jüngsten Gericht bestehen kann.

Das bedeutet: Die Gnade und der Mensch wirken zusammen!
Wie gesagt: Auch diese Vorstellung half Luther nicht, beruhigte sein Gewissen nicht.
Im Kern steht ja immer noch die menschliche Vorstellung von Gottes Gerechtigkeit im Hintergrund: „Gott soll dem Menschen nach gerechtem Urteil recht geben, das Tun des Menschen anerkennen“. Und das beinhaltet wie schon bei Aristoteles: Das Tun bestimmt das Sein des Menschen.

 

Eine andere Sichtweise wurde Luther durch sein intensives Bibelstudium erschlossen. Wir haben es gelesen. Wie Luther vor Gott – ja sogar mit Gott- um das richtige Verständnis von Gottes Gerechtigkeit rang. Wie er wissen wollte, wie sich Gott zum Menschen stellt und wie der Mensch vor Gott gestellt ist. Dabei ging es Luther nicht um irgendeine theoretische Einsicht, sondern um eine Gewissheit, mit der ein Mensch leben und sterben kann, die ihn durch alle Höhen und Tiefen des Lebens trägt.

Inwiefern ist Gott gegenüber dem Menschen „gerecht“ bzw. wie wird der Mensch Gott gegenüber „gerecht“.

Luther begann …, die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen als die, durch die als durch Gottes Geschenk der Gerechte lebt, nämlich aus Glauben, und dass dies der Sinn sei: Durch das Evangelium werde Gottes Gerechtigkeit offenbart, nämlich die passive, durch die uns der barmherzige Gott gerecht macht durch den Glauben“

Gottes Gerechtigkeit ist eine „schöpferische Gerechtigkeit“, Gott macht den Menschen în Christus gerecht, er bleibt dem Menschen als seinem Geschöpf treu, unabhängig von dessen Taten und Werken.

„Gerechtigkeit Gottes“ fällt mit „Gottes Barmherzigkeit“, „Gottes Liebe“, „Gottes Treue“ zusammen, alles „schöpferische“ Taten Gottes.

Dieses Verständnis von Gerechtigkeit Gottes liegt außerhalb der traditionellen Vorstellungen, außerhalb aller menschlichen Vorstellung von „gerecht“ und ungerecht. Die klassischen traditionellen Verständnismuster werden im wahrsten Sinne des Wortes „durchkreuzt“. Gottes Gerechtigkeit ist Gottes schöpferisches Handeln, seine Treue zum Menschen, sein grundsätzliches „JA“ zu jedem Menschen zeigt und bewährt sich im Kreuz Jesu Christi.

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Das Kreuz zeigt , wie und wo Gott handelt, eben nicht nur dort, wo alles „seine Richtigkeit“ hat, sondern dass Gott sich entgegen aller geläufigen menschlichen Vorstellungen als der Liebende, Gerechte, Barmherzige zeigt, als der Schöpfer, der jeden Menschen am Leben erhält, der ganz nah bei seinen Menschen als Geschöpfen bleibt, gerade bei den Menschen, die nichts vorweisen können und vorweisen wollen.

„Solcher Art ist die Liebe, geboren aus dem Kreuz, dass sie sich nicht dorthin wendet, wo sie das Gute findet, sondern dorthin, wo sie das Gute den Armen und den Bedürftigen austeilen kann.“1

 

Das Kreuz ist Sinnbild dafür, dass die klassische philosophische und die traditionelle kirchliche Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes in die Irre führen, wenn man sie auf die Beziehung des Menschen zu Gott anwendet! Bereits in der Leipziger Disputation 1519 mit Johann Eck führte dies Luther aus.

Das Sein jedes Menschen wird nach Luther nicht durch sein Tun konstituiert. Es ist in Gott gegründet und verankert. Menschliches Leben verdankt sich einzig und allem Gott dem Schöpfer.

Die Beziehung zu Gott, dem der Mensch sein Leben verdankt, ist frei von jeglichem „Leistungsdenken“, jeglicher menschlicher Beeinflussungsmöglichkeit. Gott sagt JA zum Menschen, unabhängig von menschlichem Tun und Lassen. Der Mensch ist von Gott als unverwechselbare Person anerkannt – unabhängig von der Ausprägung seiner Persönlichkeit.

Der Mensch kann und muss sein Lebensrecht nicht selbst „schaffen“ und verwirklichen. Sein Sein ist, „extra nos“ – außerhalb des Menschen – in Gott, dem Schöpfer, verankert.

Ist das nicht auch heute noch so? Welcher Mensch kann sich sein Leben selbst geben? Wer kann sein Leben selbst, aus eigenen Kräften erhalten?

 

Zimage011.pngentral wichtig ist für Luther die Unterscheidung der Beziehungsebenen.

Der Mensch lebt in vielfältiger Beziehung zu seinen Mitmenschen. Seine Mitte besteht in der Beziehung zu dem Gott, der ihm schöpferisches Leben gewährt und ihm gegen seinen Widerspruch erhält (Schwöbel). Sein Leben – sein Lebensrecht, seine Würde als Person – verdankt er nicht den Beziehungen zu den Menschen, sondern sie ist in dieser Beziehung zu Gott verankert.

Die Beziehung des Menschen zu Gott oder präziser gesprochen: Die Beziehung Gottes zum Menschen (!) hat die reformatorische Tradition später durch die „4 soli“ bestimmt

Allein durch Gnade (sola gratia) – allein durch Christus (solus christus) – allein durch die Schrift (sola scriptura) und allein durch den Glauben (sola fide)

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Diese so genannten „4 soli“ sind die Grundprinzipien, die Maßstäbe und Handlungsmuster, mit denen Gott schöpferisch die Beziehung zu den Menschen aufrechterhält und zwar so, dass immer er allein (solus deus!) der Handelnde und Gestaltende bleibt.

In der Beziehung zu Gott kann der Mensch selbst gar nichts „machen“, „gestalten“, bewirken.

Luther hält an der Alleinwirksamkeit Gottes fest. In der Beziehung zu Gott ist der Mensch allein „Empfangender“ und zwar stets und ständig.

Alles geschieht „allein aus Gnade“. Dieses wird den Menschen allein durch „Gottes Wort“ vermittelt, nicht nur im Sinnes einer Mitteilung an den Menschen, sondern als Wort, das den Menschen anspricht, in seinem Innern berührt und den Glauben, das Vertrauen auf Gott beim Menschen hervorruft. Man kann sagen: Den Glauben „erzeugt“.

Deshalb ist nach Luther der Glaube nicht eine in jedem Menschen liegende verborgene Möglichkeit.

Wäre dies so, bräuchte man nur an den Willen des Menschen zu glauben appellieren. Aber dann wäre ja der Glaube wieder „ein Werk“, das additiv zum schöpferischen Werk Gottes hinzukäme.

Der Mensch ist dann gleichsam „ein zweiter Schöpfer“ neben Gott. Er ist bzw. „will sein“ wie Gott. Und eben darin ist er „Sünder“. Der Mensch – auch der gerechtfertigte – ist davor nicht gefeit. Deshalb ist der Christ nach Luther „simul iustus ac peccator“ – gleichzeitig gerecht und Sünder.

Der Mensch kann sich nicht aus eigenem Willen zum Glauben entscheiden. In einer – auch nach Luther – der wichtigsten Schriften führt Luther dies aus.

1freier_unfreier_wille.jpg525 schrieb Luther seine Abhandlung „Vom unfreien Willen“ als Erwiderung an eine Abhandlung des großen Rotterdamer Gelehrten und Humanisten Erasmus von Rotterdam.

Erasmus behauptete „Der Mensch hat einen freien Willen – er kann sich für oder gegen Gott und damit für oder gegen den Glauben entscheiden“.

Luther begründete durch Auslegung von Bibelstellen und mit philosophischen Gründen genau das Gegenteil: Der Mensch hat keinen freien Willen.

Freier Wille ist allein Gott eigen, eine göttliche und keine menschliches Eigenschaft.

Lreittier.jpguther sieht den Mensch als Reittier, auf dem entweder Gott oder der Teufel sitzt. Das Tier selbst kann nicht entscheiden, in welche Richtung es gehen will – darüber befindet der jeweilige Reiter.2

 

 

Dreittier_gott.jpger Teufel ist dabei nicht ein „ebenbürtiger Gegner Gottes“, sondern auch Gottes absolutem freien Willen untergeordnet.

Alles geschieht mit Notwendigkeit gemäß Gottes Vorhersehung.

Denn dies ist der einzige und höchste Trost der Christen in allen Widerwärtigkeiten, zu wissen, daß Gott nicht lügt, sondern unwandelbar alles thut, daß seinem Willen niemand widerstehen, niemand ihn ändern oder hindern kann.“3

 

 

 

2 Probleme ergeben sich dann:

  1. Warum glauben dann viele Menschen nicht? Ist Gott für dieses „Nichtglauben“ verantwortlich? Schließt er manchen nicht das Paradies auf?

  2. Ist das irdische Handeln des Menschen dann „belanglos“. Es kommt eben, wie es kommt? Was ich tue, geschieht mit göttlicher Notwendigkeit. Gibt es keine Verantwortung, wenn es keine menschliche Freiheit gibt?

Ereittier_mensch_gott_teufel.jpgine Antwort auf die erste Frage kann nach Luther von Seiten des Menschen nicht gegeben werden. Luther unterscheidet hier zwischen zwei „Seiten“ Gottes: zwischen dem deus absconditus dem den Menschen verborgenen Gott, und dem deus relevatus, und den Menschen offenbaren Gott.

Den verborgenen Gott kann und soll kein Mensch erfassen. Über seine Beziehung zum Menschen kann kein Mensch etwas wissen oder aussagen. „Quae supra nos, non ad nos“. Alle weiteren Versuche des Menschen in dieser Hinsicht, sind vermessen, überheblich und für den Menschen nicht zuträglich. Entscheidend ist der Glaube, dem sich der offenbare Gott erschließt.

Wir sagen .. über den geheimen Willen der (göttlichen) Majestät dürfe man nicht disputiren, und die menschliche Vermessenheit,… müsse davon abgehalten und abgezogen werden, damit sie sich nicht mit der Erforschung jener Geheimnisse der Majestät beschäftige, welche zu erlangen unmöglich ist, da sie „wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“, wie Paulus bezeugt (1 Tim. 6,16.). (Der Mensch) beschäftige sich aber mit dem menschgewordenen Gotte, oder (wie Paulus (Col. 2,3.) redet) mit Jesu, dem Gekreuzigten, „in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß sind“, aber „verborgen“; denn durch den hat er reichlich, was er wissen und nicht wissen soll“4

 

Der Glaube an den Gekreuzigten ist aber keine einmal erworbene Eigenschaft, kein „Haben“ des Menschen. Dieser Glaube muss sich immer wieder in der Anfechtung bewähren und von Gott geschenkt werden.

 

Dies ist die höchste Staffel des Glaubens, zu glauben, der sei gütig, der so wenige selig macht und so viele verdammt, zu glauben, der sei gerecht, der durch seinen Willen uns notwendiger Weise verdammlich macht, so daß es den Schein hat, wie es Erasmus darstellt, als ob er an den Qualen der Elenden Gefallen hätte und des Hasses mehr werth sei, als der Liebe. Wenn ich daher auf irgend eine Weise begreifen könnte, wie Gott barmherzig und gerecht ist, der einen solchen Zorn und Unbilligkeit zeigt, so wäre der Glaube nicht nöthig. Nun aber, da dies nicht begriffen werden kann, soll man Gelegenheit haben, den Glauben zu üben, wenn solches gepredigt und verkündigt wird, als, wenn Gott tödtet, so wird der Glaube an das Leben im Tode geübt.“5

Auch hier gilt wieder: Gott allein ist wirksam. Alles ist Geschenk der Gnade. Der Mensch ist Geschöpf und als solches Empfangender, nicht Schöpfer und „Erschaffer“ und Erhalter oder gar seiner selbst geschweige denn „Alleserklärer“

Es ist zu überlegen, was das für menschliche Gottesbilder, für die Rede von Gott bedeutet. Vor allem für solche, die „Gott“ für ihre Sache im Munde führen, die genau zu wissen vorgeben, wer Gott ist und wie sie für ihn „kämpfen“

Welche Entlastung könnte das auch für die bedeuten, die alles eigene Tun rechtfertigen müssen? Die für sich selbst und für andere „Gott“, höchste Instanz spielen müssen? Was bedeutet der Verzicht auf „alles machen-müssen“, „immer aktiv sein zu müssen“, „alles erklären zu müsen“- selbst „Gott sein zu müssen? Wäre das nicht eine große Entlastung? Eine Hilfe, aus dem Hamsterrad herauszukommen, einmal ruhig innehalten zu können, einfach „Nichts“ zu tun bzw. nichts tun müssen?

 

Was bedeutet dieses nun für die Beziehungen der Menschen untereinander? Kann man nun auf Erden jeder tun und lassen, was man will? Ist jedes Verhalten zulässig, weil der Mensch ja schließlich von Gott gerechtfertigt wird?

Nein sagt Luther. Gottes Gebote gelten weiterhin, für Gläubige und Ungläubige. Sie helfen zum guten menschlichen Miteinander.

Aber diese Gottes Gebote taugen nicht dazu, den Menschen in ein rechtes Verhältnis zu Gott zu setzen, ihn vor Gott „gerecht“ zu machen. Gebote und ihre Befolgung sind kein Mittel, mit dem der Mensch sich vor Gott rechtfertigen kann. Jeder Mensch bleibt stets hinter der Erfüllung der Gebote Gottes zurück. Und selbst beim Bemühen, die Gebote einzuhalten, um Gott zu gefallen wird er scheitern. Ja: Gerade das Bemühen mit größtem Ernst und Eifer, Gutes zu tun, um Gott zu gefallen, ist nach Luther „Sünde“, sogar die Sünde schlechthin. Da will der Mensch ja auch wieder sein wie Gott.

Aus dieser Zwangslage befreit Gott den Menschen indem er ihm das Wort der Verheißung anbietet, das Glauben des Menschen hervorrufen will.

In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen schreibt Luther 1520:
„So kommt … die göttliche Verheißung und Zusage, und spricht: Willst du alle Gebote erfüllen, deine böse Begierde und Sünde loswerden ,.. sieh auf, glaube an Christus, in dem ich dir alle Gnade, Gerechtigkeit, Friede und Freiheit zusage“. Dieser durch die göttliche Zusage erzeugte Glaube führt zum sogenannten „fröhlichen Wechsel“ zwischen Christus und dem Menschen: „Der Glaube … vereinigt .. die Seele mit Christus als eine Braut mit ihrem Bräutigam. .. So werden auch beider Güter, Glück und Unglück und alle Dinge gemeinsam; …. Hier erhebt sich nun der fröhliche Wechsel und Streit. Weil Christus Gott und Mensch ist, der noch nie gesündigt hat, und seine Frommheit unüberwindlich, ewig und allmächtig ist, so macht er denn die Sünden der gläubigen Seele … sich selbst zu eigen und tut nichts anderes, als hätte er sie getan…. Seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark. So wird die Seele von allen ihren Sünden … frei und begabt mit der ewigen Gerechtigkeit des Bräutigams Christus. Ist nun das nicht eine fröhliche Wirtschaft, wo der reiche, edle, fromme Bräutigam Christus das arme, böse Hürlein zur Ehe nimmt und sie von allem Übel erledigt, ziert mit allen Gütern?… So hat sie eine so reiche Gerechtigkeit…, dass sie abermals gegen alle Sünden bestehen kann.“6

Auf diese Weise wird der Christenmensch von jeglichem Zwang der Selbstrechtfertigung befreit. Er muss sein Lebensrecht vor niemandem – weder vor sich selbst noch vor anderen nachweisen oder beweisen. Es ist und bleibt ihm von Christus und von Gott geschenkt.

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan!“7 lautet Luthers erste These in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ 1520

Aus dieser Freiheit von dem Zwang der Selbstrechtfertigung entspringt dann die Freiheit zur Nächstenliebe.

„Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“8.
Der Christenmensch ist so frei, dass er anderen Menschen helfen will und kann.

Lassen Sie es mich etwas salopp ausdrücken: Wer alle Hände mit sich selbst zu tun hat, hat keine Hand für einen anderen frei! Wer mit offenen leeren Händen empfängt, kann aus offenen gefüllten Händen weitergeben! Luther schreibt: „Darum wie Gott uns durch Christus umsonst geholfen hat, so sollen wir mit dem Leib und seinen Werken nichts anderes tun als dem Nächsten helfen“. Auch so kann Gott für Menschen „das Paradies aufschließen“.

Luther schließt seine Freiheitsschrift mit den Worten:

„Aus dem allen ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe, ebenso wie Christus.“

Noch ein letztes:

Der Schlusssatz von Luther wäre total falsch verstanden, wenn man ihn als einmal erreichten, andauernden Zustand verstehen würde. Nach Luther ist der Mensch nicht „einmal von Gott aus Glauben gerechtfertigt“ und kann dann in diesem Status die Nächstenliebe und die Gottesfurcht ausleben. Der Mensch – gerade auch der Christ – ist immer auch „Sünder“, hat das Begehren „Sein-zu wollen wie Gott“ (vielleicht auch gerade durch große Frömmigkeit!). Das Paradies ist ihm durch Christus aufgeschlossen, aber so, dass es ihm immer wieder gesagt werden muss. Gott muss und will durch sein Wort, seine Zusage, den Menschen immer wieder zum Glauben locken und ihm das „Hochzeitsversprechen Christi“ ins Gedächtnis rufen. Die Freiheit als Christenmensch muss dem Menschen immer wieder neu zugesprochen werden. Dass solches geschieht, liegt allein in Gottes Hand, ist immer wieder neues Geschenk des Heiligen Geistes.

Luther hat es so ausgedrückt:

Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden,

Nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden,

Nicht ein Sein, sondern ein Werden,

Nicht eine Ruhe, sondern eine Übung.

Wir sind‘s noch nicht, wir werden‘s aber.

Es ist noch nicht getan oder geschehen,

Es ist aber im Gang und im Schwang.

Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.

Es glüht und glänzt noch nicht alles,

Es reinigt sich aber alles.

 

 

1 So Luther in der Leipziger Disputation 1518, zitiert nach . Panzer, S. 17

2 Vgl. von Löwenich S. 261 Allerdings die Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Zwang Der nicht von Gott ergriffene Mensch kann nur sündigen „notwendig sage ich, nicht gezwungen; er tut das Böse nicht ohne seinen Willen wie einer, der gewaltsam zu Hinrichtung geschleppt wird, sondern er tut es spontan und mit Zustimmung seines Willens“.

3 aus einer dt. Übersetzung von „Vom unfreien Willen“

4 aus einer dt. Übersetzung von „Vom unfreien Willen“

5 aus einer dt. Übersetzung von „Vom unfreien Willen“

6 Zum Zwölften. Zitiert nach „Von der Freiheit. Martin Luther lesen. Hg. Von Christiane Kohler-Weiss, Gütersloh 2016 S. 43

7 Ebd. Zum ersten. S. 36

8 Ebd. Zum ersten. S. 36

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