Auslegung des Bibeltextes im Rahmen der Ev. Erwachsenenbildung im Landkreis Esslingen „Bizeps&Bibel“ am 20.11.2018 sowie im Treffpunkt in Nürtingen Neckerhausen am 23.11.2018

In der Auferweckung des Jünglings zu Nain – so die Überschrift in vielen Bibeln- begegnet uns ein unheimliches Wunder im doppelten Wortsinn. Unheimlich, weil ungewöhnlich, überdimensional groß. Unheimlich aber auch weil erschütternd, Furcht und Schrecken einflößend.

Wir haben ja in den letzten Wochen über viele Wunder gesprochen, von Heilungen in Lourdes und durch Jesus , von Naturwundern, von unvorstellbaren Wandlungen eines Menschen. Und immer wieder schimmerte durch, dass es so etwas heute direkt oder im übertragenen Sinne auch geben kann. Und nun noch eins drauf: Totenauferweckung? Was soll das?

Will man nicht dem Spiritismus verfallen, ist eine Totenerweckung bzw. Totenauferstehung absolut unvorstellbar.
Können wir uns das vorstellen? Da ist Mensch gestorben, er liegt da, tot, auf dem Bett oder schon im Sarg – alle trauern oder weinen und plötzlich bewegt sich dieser Mensch wieder, spricht und steht auf. Das kann und mag sich keiner vorstellen. Ich würde im wahrsten Sinne des Wortes „zu Tode erschrecken“ und denke, dass die anderen Anwesenden darüber auch erschrecken, ja in Angst und vielleicht sogar in Panik geraten.

Nun könnte man sagen: Das ist ja nur eine Art „Reanimation“ oder der Mensch ist nur scheintot gewesen. Aber das kann beim Jüngling zu Nain absolut nicht sein: Die griechischen Begriffe[1], die hier in der Geschichte verwendet werden geben das nicht her und außerdem ist der Jüngling schon länger tot – bestattet wurde z.Zt. Jesu nämlich immer erst in den Abendstunden und ich denke, dass kein Toter direkt nach dem letzten Atemzug auf dem Haus getragen wurde, sondern dass bis zur Beerdigung am Abend schon Stunden dazwischen liegen.

Das Wunder einer Totenerweckung kann also nicht als Rückkehr eines Scheintoten ins Leben oder mit medizinischer Reanimation gleichgesetzt werden.

Außerdem sollten wir eine solche „Totenerweckung“ auch von der „Auferweckung der Toten“ bzw. Auferstehung der Toten am Ende der Zeit unterscheiden. Die Auferstehung der Toten geschieht „in die Ewigkeit“, die Auferweckung des Jünglings zu Nain ist jedoch nur eine Zurückholung ins irdische Leben für eine begrenzte Zeit, bis zum natürlichen Tod.

Was soll also eine solche Geschichte bzw. ähnliche Geschichten in der Bibel? Ich möchte sie zunächst einmal ein wenig „nachzeichnen“ oder „nacherzählen“.

Nur der Evangelist Lukas erzählt diese Geschichte. Bevor er diese erzählt, lässt er Jesus Worte verkündigen, die der Evangelist Matthäus in der sog. „Bergpredigt“ spricht. Bei Lukas findet dies auf dem „Feld“ statt – deshalb heißt sie bei ihm nicht Bergpredigt, sondern „Feldrede“[2]. An sie schließt Lukas noch ein Wunder an, die Heilung des Knechtes des Hauptmanns von Kapernaum.[3]

Und nun beginnt „unsere Geschichte“:

Die große Feldrede war beendet, der Knecht eines Hauptmanns in einer Art „Fernheilung“ geheilt. Ein großer „Troß“ zieht mit Jesus nach „Nain“ hinauf, einer kleinen Stadt am nördlichen Abhang des kleinen Hermon. „Nain“ heißt übersetzt „die Liebliche“. Für diesen Weg zum „Lieblichen“ hinauf, dem Guten entgegen, war für viele ein Fußmarsch von 8 – 9 Stunden nicht zuviel – die „Fans“ folgen ihrem „Star“ auch dorthin – verspricht doch Jesu Gegenwart „gutes, liebliches Leben“.

Doch das reale Leben spielt anders. Sie nähern sich dem Stadttor[4]. Der Tod tritt unverhofft, unausweichlich und krass ins Blickfeld. Ein Toter wird auf einer Bahre oder einem offenen Sarg[5] aus der Stadt hinaus zur Begräbnisstätte getragen. Die Szenerie zeigt: Da ist kein Mensch alt und lebenssatt, also in gesegnetem Alter, gestorben. Die Anteilnahme ist groß. Eine riesige Menge ist unterwegs zur Beerdigung. Ein junger Mann ist gestorben. Vor der Bahre sieht man nicht die Angehörigen, Eltern und Geschwister – nur eine Frau, die Mutter. Die Frau hatte offensichtlich keinen Mann mehr, der verstorbene junge Mann keine Geschwister. Nach dem Verlust des Ehemannes wurde dieser Witwe auch noch das einzige Kind genommen – der Sohn. Nach dem Tod des Vaters hatte dieser – nach damaligem Recht und damaliger Sitte – die Rolle des Ernährers und Rechtsbeistandes der Mutter übernehmen müssen und bis zu seinem Tod auch ausgeübt.

Die Witwe ist jetzt nicht nur allein in ihrer Wohnung, sie ist in eine „prekäre Situation“ geraten – ohne Grundversorgung und irgendwie rechtlos[6]. Immerhin: Die Anteilnahme ist noch riesig –
so groß wie auf der anderen Seite die Begeisterung in der Menge, die mit Jesus zieht.

Was geht in denen wohl vor? Gut, man kann kurz innehalten wie es sich gehört. Aber man darf sich doch von solch einem Zwischenfall, einem Trauerzug, aus der Ruhe bringen lassen. „The show must go on!“ Was geht mich das Leid Fremder, anderer an? Ich kenne sie doch gar nicht, wohne weit weg und kann der Witwe eh nicht helfen. Außerdem gibt es ja gerade genügend andere, die sie in ihrer Trauer begleiten und ihr helfen.

Doch: „Jesus sieht die Frau!“[7] – nicht distanziert, beobachtend aus der Ferne. Er sieht nicht weg, er sieht hin, er sieht die betroffene Person an! Jesus lässt die Not der Witwe an sich heran: „die Witwe jammerte ihn“(Luther 1984), „er hatte Mitleid mit ihr“ (Einheitsübersetzung), und zwar nicht nur gefühlsmäßig, sondern körperlich spürbar. Im griechischen Wort, das hier verwendet wird, ist das Wort „Eingeweide“ enthalten[8]. Wir müssten heute vielleicht so übersetzen „die Not der Frau ging Jesus an die Nieren“ bzw. „es hat sich ihm der Magen umgedreht.“

Nebenbemerkung: Wenn in der Bibel vom Erbarmen Gottes bzw. Mitleid Gottes oder Jesu die Rede ist, ist dieser Aspekt stets mitgesetzt.

Also: Jesus ging die Not der Frau an die Nieren so wie dem barmherzigen Samariter die Not des unter die Räuber Gefallenen bewegte[9] oder der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn sich dessen „erbarmte“[10].

Jesus spricht die Witwe an. „Weine nicht!“ Offensichtlich kann die Witwe noch weinen. Offensichtlich ist sie nach diesem zweiten beklemmenden Todesfall in der Familie nicht stumm geworden. Sie versteckt nicht ihre Trauer, zeigt sie offen. Sie versucht nicht, sich krampfhaft zu beherrschen und unternimmt nicht den Versuch, anderen damit nicht zur Last zu fallen.

„Weine nicht!“  sagt Jesus zu ihr. Na ja! Ist das nicht ein billiger Trost? Kann man, darf man so Trauernde anreden? So tun, als könnte das Gegenüber einfach aufhören mit Weinen? Überfordert das nicht die Seele? Verschlimmert solch‘ ein Wort nicht noch mehr die Trauer? Oder war die Frau vielleicht froh, dass in dieser beklemmenden Situation endlich mal einer etwas sagt? In einer Situation, die alle sprachlos macht?

Vielleicht haben manche in der Gefolgschaft Jesu so gedacht. „Gut, dass Jesus kondoliert. Dann sind wir außen vor und aus dem Schneider. Dann rückt uns das nicht so auf die Pelle. Wir bleiben dann hier wirklich in Nain, im Dunstkreis des Lieblichen.
Doch Jesus belässt es nicht bei dieser kurzen Bemerkung! Er geht auf den Sarg zu und berührt ihn.
Nach jüdischer Sitte macht ein Kontakt mit Toten „kultisch unrein“, schließt einen zunächst vom Leben aus. Die Träger verstehen Jesu Berührung sofort so: Anhalten. STOP: Nicht einfach im Leichenzug, im Zug des Todes weiterziehen. STOP: Auch der Zug des Lebens soll am Zug des Todes nicht vorbeiziehen.

Alle erwarten jetzt von Jesus ein klärendes Wort, vielleicht eine Traueransprache. Unerwartetes geschieht: Jesus spricht den Toten direkt an. Geht das denn? Darf man denn mit einem Toten sprechen? Ihn ansprechen? Der hört und versteht doch nichts mehr! Kann gar nicht mehr darauf reagieren!

„Jüngling ich sage dir – steh auf!“ oder „Wache auf!“ – er spricht zu ihm so, wie wenn eine Mutter ihr verschlafenes Kind am Morgen aufweckt.

Das reicht. Kein Rütteln und Schütteln, damit dieser aufwacht.
Keine spektakuläre aufwändige Handlung, so wie man es heute in Erste-Hilfe-Kursen bei der Reanimation lernt und so wie es von anderen antiken Wundertätern bei ihren Totenerweckungen berichtet wird, etwa von Elia oder Elisa oder Apollonius von Tyana[11]

Allein dieses Wort „Steh auf! Wach auf!“ wirkt!

Der junge Mann richtet sich auf, steht auf und beginnt zu sprechen. Sich bewegen können, sprechen und kommunizieren können –so gibt er zu erkennen, dass er lebt.
Jesus lenkt dieses neue Leben in die richtige Richtung: „Und er gab ihn seiner Mutter“ heißt es lakonisch. Wie dies geschah und was sich dabei ereignete bleibt offen: Ob Jesus ihn anwies die ihm übertragene soziale Aufgaben an seiner Mutter zu übernehmen oder ob der Jüngling selbst auf seine Mutter zuging und die Aussage nur bedeutet, dass Jesus dieses durch die Auferweckung veranlasst hat oder gar eine andere Aktion im Spiel war, bleibt unklar.

Eindeutig ist allerdings die Reaktion aller Anwesenden, also derer im Trauerzug und der anderen im Jesus-Fanzug, dem Zug des Lebens: „Furcht ergriff sie alle und sie priesen[12] Gott“. Was da geschehen ist, ist so unheimlich, einmalig und außergewöhnlich, dass man nur staunen und oder erschrecken kann: Träume ich oder ist das real? Albtraum oder fassungsloses Staunen?
Begegnungen mit dem heiligen, kraft- und machtvollen Gott gehen in der Bibel häufig mit „Furcht“ und manchmal mit Schrecken einher. In der Antike war klar: Nur eine göttliche Macht kann lebendig machen. Für jüdische Gläubige ist es ihr Gott, der „das Nichtsein ins Sein rufen kann[13]“. Wenn Menschen solches erleben, dann folgt auf das erste Erschrecken der Lobpreis: Gott allein schenkt und ermöglicht Leben.

Die Menschen am Stadttor von Nain spüren noch mehr: Gott ist nicht nur fern und steuert von dort das Geschehen, sondern er ist mitten drin, wenn Leben aus dem Tod entsteht. Gott sucht die Menschen heim, er sucht sie auf, er besucht sie.
„Sie sprachen: „Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden und Gott hat sein Volk besucht“.

Viele Juden erwarteten damals, dass der Prophet Elia wiederkommen würde. Am Stadttor von Nain schien in Jesus diese Erwartung erfüllt – war doch gerade auch von Elia erzählt worden, dass er den Sohn der Witwe von Zarpat wieder zum Leben erweckt habe.

„Und diese Kunde von Jesus erscholl in ganz Judäa und im ganzen umliegenden Land“.

So schließt Lukas diese Erzählung ab. Für Lukas ist damit noch nicht alles gesagt. In den folgenden Versen des 7. Kapitels erzählt Lukas, wie dieser Jesus vorauseilende Ruf bei Johannes dem Täufer ankommt. Johannes der Täufer kann das alles nicht recht einordnen. Er lässt Jesus die Frage zukommen: „Bist du der von Gott versprochene Retter, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“[14]

Die Boten erhalten von Jesus die Antwort: „Geht hin und berichtet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: ‚ Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet“[15]. Damit war jedem klar: Mit der Predigt und dem Handeln Jesu, insbesondere seinen Wundern ist das Reich Gottes angebrochen. Er ist mehr als ein endzeitlicher Prophet, er ist der am Ende der Zeiten erwartete „Menschensohn“, der Messias, der Christus.

In der Erzählung von der Auferweckung des Jünglings zu Nain hat Lukas dies etwas verborgen schon an einer Stelle angedeutet: „Als ‚der Herr‘ die Frau sah.

So bezeugt Lukas Jesus als den Herrn über Leben und Tod.

Was bleibt nun für uns nach 2000 Jahren von dieser Geschichte? Ist die Essenz nur der dogmatisch korrekte Satz „Jesus ist der Herr, Jesus ist als Sohn Gottes der Herr auch über Leben und Tod?“ Oder gar etwas umgangssprachlich gewendet: „Jesus kann! Kann alles?“ Und wer an ihn glaubt, kann mit ihm alles?“ Wirklich alles?
Sind die Wunder Jesus einfach darauf zu reduzieren? Auf spektakuläre außergewöhnliche, nicht bzw. noch nicht erklärbare Ereignisse, die übernatürlich sind und sich dank Jesu Hilfe wieder ereignen können? Dann müssten ja in den christlichen Gemeinden nur noch Gesunde sein, dürfte niemand vorzeitig an Krebs sterben, oder?
Sie merken – eine Reduktion auf diesen einfachen dogmatischen Satz lässt zumindest mich etwas ratlos zurück.

Ich möchte deshalb einige Ansätze zum Gespräch und zur Diskussion, wie man diese Wundergeschichte und andere Wundergeschichten heute erschließen und verstehen kann.

  • Wundergeschichten als Hoffnungs- und Ermutigungsgeschichten

Der Evangelist Lukas bindet seine Wundergeschichten in Jesu Botschaft vom Reich Gottes ein. Reich Gottes bedeutet „Gottes neue Welt“, „Heilvolle Zukunft und ein Ende der Geschichte und Welt in einem Raum des Friedens, der Gerechtigkeit und des ewigen Lebens“. Mit Jesu Leben und Handeln beginnt dieses Reich Gottes.[16] Er verspricht, dass dieses Reich am Ende der Zeit vollendet wird. Die Wundertaten Jesu sind also als Beginn und Vorwegnahme dieses Reiches Gottes zu verstehen. Jede Wundergeschichte wird dadurch zu einer „Hoffnungsgeschichte“, einer „Ermutigungsgeschichte“. Es muss und es wird nicht so bleiben wie es ist. Die Normativität des Faktischen, man kann ja sowie nichts machen, es kommt, wie es kommt mit naturgesetzlicher Notwendigkeit – solche Aussagen hebt Jesus durch seine Wunder und seine Verkündigung des Reiches Gottes aus den Angeln. Er macht Mut zum Leben und schenkt Hoffnung, wo scheinbar alles hoffnungslos ist.
Das zeigt sich auch in der Geschichte der Auferweckung des Jünglings zu Nain.

  • Die Geschichte der Auferweckung des Jünglings zu Nain als Jesu „Weckruf“ zum Aufstand gegen den Tod

Jesus erweckt einen Toten zum Leben. Wir verstehen Tod zunächst nur naturwissenschaftlich medizinisch. Der Körper stellt seine Funktionen ein. (Herztod, Hirntod…).Aber wir kennen alle auch einen anderen Tod, den „sozialen Tod“. Wenn nichts mehr geht, dann sprechen wir oft von „tot“. Die tote Telefonleitung ist da noch harmlos. Schlimmer ist es, wenn menschliche Beziehungen „tot“ sind. „Der oder die sind für mich gestorben“. „Damit will ich überhaupt nichts zu tun haben. Das geht mich nichts an!“. „Der Tod ist das Ereignis der die Lebensverhältnisse total abbrechende Verhältnislosigkeit“ – hat mein Tübinger Theologieprofessor Eberhard Jüngel in seiner ihm eigentümlich präzisen Sprache gesagt.[17]

Wie auch immer: Tod bedeutet – Verhältnislosigkeit, Beziehungslosigkeit.
„Steh auf! Wach auf!“ fordert Jesus den toten Jüngling auf – für alle überraschend, aber bestimmt und treffend. Vielleicht könnte die lebendige Stimme Jesu heute so klingen:[18]

  • wach auf aus den toten Gewohnheiten, die dir einreden: Das haben wir schon immer so gemacht
  • wach auf aus den toten Mechanismen, mit denen du dich gegen Fremdes zu schützen versuchst
  • wach auf, aus deinen einengenden Prinzipien, mit denen du andere ausgrenzt und Möglichkeiten einschränkst
  • wach auf aus deiner Rechthaberei, die die Fehler und Schuld nur beim anderen sucht
  • … (Liste lässt sich beliebig erweitern und ergänzen)

[[[ Dann könnte das geschehen, was Luise Kaschnitz in einem Gedicht so ausdrückt:

Auferstehung

Manchmal stehen wir auf 

Stehen wir zur Auferstehung auf

Mitten am Tage

Mit unserem lebendigen Haar

Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.

Keine Fata Morgana von Palmen Mit weidenden Löwen Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht

Und dennoch unverwundbar

Geordnet in geheimnisvolle Ordnung

Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

]]

  • Die Geschichte der Auferweckung des Jünglings zu Nain als Jesu „Weckruf“, die sozialen Verpflichtungen nicht zu vergessen

„Und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück“ erzählt Lukas. Jesu Weckruf zum Leben hat sein Ziel darin, dass der Jüngling wieder seinen sozialen Verpflichtungen nachkommen kann, wie sie durch Gottes Gebote in der hebräischen Bibel geregelt waren. Der Jüngling wurde zu einer Bestimmung „aufgeweckt“, die ihm gemäß war.
Vielleicht könnte der Weckruf Jesu heute je nach Person unterschiedlich lauten:

  • Wach auf, steh auf – gegen die Ungerechtigkeit in deinem Umfeld und in der Welt,
  • steh auf gegen Unterdrückung und Diskriminierung,
  • steh auf für den Schutz von armen, gebrechlichem Leben,
  • steh auf für den Schutz der Schöpfung.
  • … (Liste lässt sich beliebig erweitern und ergänzen)

Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig: Das sind keine „moralischen Appelle“, die Menschen ein bestimmtes Verhalten auferlegen, die irgendwie auch noch „gesetzlich“ geregelt werden sollten, so wichtig dies manchmal auch ist.
Es ist immer ein Wunder, unglaublich, unvorstellbar und vor allem nicht durch menschliche Tricks oder entsprechende Marketingmaßnahmen machbar, wenn Mensch von Jesus zu solchem Tun aufgeweckt werden, in ihrem Herzen und ihrer Seele getroffen werden und dann entsprechend handeln.[19] Und solche Wunder erschrecken und erstaunen auch häufig die Mitmenschen.

  • Psychologisch[20]: Die Geschichte der Auferweckung des Jünglings zu Nain als Anleitung dazu, wie Leben gelingt

Eine weitere Interpretation der Auferweckung des Jünglings zu Nain bieten psychologisch geschulte Interpreten an. Sie deuten sie so:

Lukas will sagen: Jesus zeigt euch, wie Leben gelingt  ….  Zur Mutter sagt Jesus: Weine nicht! Er hat Mitleid mit ihr. Als Witwe hat sie ihren Sohn vielleicht mit zu viel Liebe und Fürsorge umgeben, dass diesem die Luft zum Leben ausgegangen ist. Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn kann manchmal so eng und erdrückend sein, dass der Sohn das Leben verpasst: er ist für das Leben tot, bevor er gelebt hat. Und die Mutter, die alles so gut gemeint hat, hat in ihrer Liebe und Fürsorge ein gehöriges Maß an Eigenliebe und Egoismus versteckt. Vielleicht meint Lukas mit dem Mitleid, das Jesus zeigt, den Eigenanteil, den die Mutter am Tod ihres Sohnes hat. Es hätte nicht so zu kommen brauchen. – Und dem toten Jüngling befiehlt (!) Jesus: Steh auf! Und das könnte heißen: Nimm endlich dein Leben selber in die Hand! Lebe dein eigenes Leben – ohne schlechtes Gewissen der Mutter gegenüber! Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn war letztlich für beide lebensfeindlich. Jesus entflechtet durch sein Tun diese buchstäblich tödliche Beziehung. Er gibt der Mutter den Sohn zurück, damit sie nun beide ihr Leben neu definieren und gestalten mögen[21]

 

  • Die Geschichte der Auferweckung des Jünglings zu Nain als Hinweis auf Jesu Auferstehung und die Auferstehung der Toten ins ewige Leben

In der Geschichte wird der Jüngling zu Nain zum Leben wiedererweckt. Über kurz oder lang musste er auch sterben wie alle Menschen.
Was kommt nach dem Tod? Christen glauben an die Auferstehung der Toten. Dafür bürgt die Auferstehung Jesu. Die Hoffnung darauf zeigt Lukas etwas versteckt, indem er Jesus als „Herr / Kyrios“ bezeichnet, also mit dem Titel, mit dem ihn Christen nach seiner Auferstehung bezeichnen. „Jesus – der Herr“.

 

 

 


[1] teqnhkvs – perfekt. Verstorben sein, tot   bzw.  o nekros =  der Tote

[2] Lk 6, 20-49

[3] Lk 7, 1-10

[4] Hier erscheint dasselbe griechische Wort hggisen , das auch bei der Ankündigung der Reiches Gottes verwendet wird: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“ Mk 1,14 . Ein Hinweis darauf, dass hier mittendrin zwischen Leben und Tod das Reich Gottes anbrechen kann?

[5] Der hier verwendete Begriff entstammt hellenistischem Sprachgebrauch und bedeutet „Sarg“/  „Kasten“. Situationsbezogen ist hier wohl eher an einen offenen Sarg oder – wie im palästinischen Raum üblich – eine Totenbahre zu denken.

[6] Grundmann deutet in seinem Kommentar diese Situation sogar so: Sowohl sie als auch der Sohn gelten als Sünder – dafür zeugt der frühe Tod des Mannes und der frühe Tod des Sohnes. „Auf alle Fälle wird für das Urteil der jüdischen Zeitgenossen im Schicksal der Witwe Gericht Gotte an ihr deutlich“.
M.E. eine Überinterpretation!

[7] Ein in der Bibel häufig verwendetes Wort idou : Es kündigt Gottes Eingreifen an, der das Elend „sieht“.

[8] splangcna

[9] Lk 10,33

[10] Lk 15,20

[11] Elia legte sich auf das Kind (1. Kön 17,21) , Elisa tut dasselbe und „legte seinen Mund auf des Kindes Mund und seine Augen auf dessen Augen und seine Hände auf dessen Hände und breitete sich so über ihn; da wurde des Kindes Leib warm“ (2. Kön 4,34). Von Apollonius von Tyara berichtet Flavius Philostratus im 1. Jhdt., dass dieser dir am Tage der Hochzeit verstorbene Braut berührte und unverständliche Worte sprach. Vgl. https://www.bibelwissenschaft.de/de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/auferweckung/ch/4ea8484612f6abc21ee8671fb6cf1ac1/

[12] Wörtlich eigentlich: „verherrlichten Gott“, als sprachen seine „erschütternde“ Herrlichkeit an vgl. griech doxa und hebräisch „kabod“ – Herrlichkeit Gottes; viele biblische Belegstellen

[13] Röm 4,17

[14] Lk 7, 21

[15] Lk 7,22

[16] Lk 17, 20f: Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist es. Denn siehe, das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch!“

[17] Vgl. insbesondere sein Büchlein „Tod“ – mittlerweile in verschiedenen Auflagen

[19] Vielleicht sogar durch solche Wundererzählungen wie der Auferweckung des Jünglings von Nain, vielleicht durch eine Predigt usw.

[20] In Neckarhausen nicht ausgeführt!

[21] Predigt von Wilhelm Weber, „Lebe dein Leben!“ http://www.religion-und-spiritualitaet.de/downloads/wilhelm_weber_lebe_dein_leben.pdf  – m.E. ist diese Interpretation „etwas gewaltsam“ – Psychologische Erkenntnisse werden „in den Text hineininterpretiert“ anstatt „aus dem Text heraus bzw. vom Text sich etwas sagen zu lassen!“